Leyen drängt HartzIVBezieher aus Privatkassen

Die Arbeitsministerin will privat krankenversicherte Hartz-IV-Empfänger zwingen, in die gesetzliche Krankenversicherung zu wechseln. Nach Informationen der F.A.Z. will die Regierung so einem Urteil des Bundessozialgerichts zuvorkommen, infolgedessen die Jobcenter 2 Milliarden Euro Zusatzkosten belasten könnten.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will privat krankenversicherte Hartz-IV-Empfänger zwingen, in die gesetzliche Krankenversicherung zu wechseln. Das geht aus einem der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorliegenden Änderungsantrag ihres Hauses zu den laufenden Beratungen über die Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze und Bildungsleistungen für Kinder hervor, die der Bundestag Ende nächster Woche verabschieden will.

Mit dieser Ergänzung könnte die Regierung einem Urteil des Bundessozialgerichtes über die Kostenübernahme der Privatversicherung für Langzeitarbeitslose zuvorkommen. Denn das Gericht will im Januar ein Urteil zu der Frage fällen, ob die Jobcenter künftig einen erheblich höheren Anteil an der privaten Krankenversicherung (PKV) übernehmen müssen. In der Koalition wird darüber gestritten, wie die Lasten verteilt werden sollen. Zwar sind die Zusatzlasten für wenige Tausend PKV-Versicherte mit bis zu 20 Millionen Euro überschaubar. Politiker befürchten aber, dass die gesetzlichen Kassen dann auch kostendeckende Beiträge für ihre Hartz-IV-Kunden von den Jobcentern verlangen. Diese Zusatzkosten könnten 2 Milliarden Euro betragen.

Gesetzliche Kassen versichern Hunderttausende Hartz-IV-Empfänger

Private Versicherte müssen im Basistarif den halben Höchstsatz der gesetzlichen Versicherung zahlen, derzeit 290 Euro. Die Jobcenter übernehmen allerdings (für privat wie gesetzlich Versicherte) nur 126 Euro. Die Lücke von 164 Euro sollen die Langzeitarbeitslosen aus dem Regelsatz von 359 Euro zahlen. Aktuell gibt es nach PKV-Angaben 6150 Hilfebedürftige im Basistarif. Dagegen versichern gesetzliche Kassen Hunderttausende Hartz-IV-Empfänger. Hier macht die Lücke nach Berechnungen der früheren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt etwa 60 Euro je Fall oder 1,8 bis 2 Milliarden Euro im Jahr aus.

Auslöser für die Berliner Betriebsamkeit war der Druck des Bundessozialgerichts auf die Bundesregierung, zügig zu einer Lösung zu kommen. Vor dem Kasseler Gericht sind mehrere Verfahren anhängig, die sich mit der Frage befassen, wer bezahlen muss, wenn privat Versicherte in die Grundsicherung gerutscht sind. Einige Landessozialgerichte haben diese Kosten auf die Jobcenter und damit auf den Staat übergewälzt. Eine Grundsatzentscheidung der Bundessozialrichter steht aus. In Kassel habe man vor, die Sache im Januar zu entscheiden, hieß es. Allerdings sei es ratsamer, wenn der Gesetzgeber vorher einschreite und seinen Gestaltungsspielraum nutze. Wahrscheinlich ist, dass die Bundesrichter alle Jobcenter verpflichten, die Kosten zu übernehmen. Dies wäre etwa über die Härtefallregelung möglich. Die PKV könnte nur an den Kosten beteiligt werden, wenn der Gesetzgeber das Recht ändert. Das hat das Arbeitsministerium vor.

„Variante 1“ sieht Zwangsumsiedlung der PKV-Hartz-IV-Empfänger vor: „Mit der Rechtsänderung werden die Betroffenen grundsätzlich wieder der gesetzlichen Krankenversicherung zugeordnet“, heißt es. „Variante 2“ beinhaltet einen gesetzgeberischen Kniff. Demnach würde der PKV-Beitrag „auf den Betrag begrenzt, den auch die gesetzliche Krankenversicherung für diese Leistungsempfänger beanspruchen kann“. Die weiterbestehende Deckungslücke müsste in dem Fall nicht mehr der Versicherte, sondern das Versicherungsunternehmen zahlen. Beide Varianten empören Gesundheitspolitiker der Koalition. Der Solidargemeinschaft der gesetzlich wie privat Versicherten würden Lasten aufgebürdet, „die versicherungsfremd sind“, sagte der Vize-Fraktionsvorsitzende der Union, Johannes Singhammer (CSU). „Wir halten die Kostenübernahme durch die Jobcenter für eine sachgerechte Lösung“, ergänzte der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens Spahn (CDU).

FDP-Sozialpolitiker Heinrich Kolb bekräftigte: „Für uns kommt weder eine Senkung des Basistarifs in der PKV in Betracht noch ein Wechsel aller Hartz-IV-Empfänger in die gesetzlichen Kassen.“ Eine weitere Belastung der PKV könnte verfassungsrechtlich problematisch werden. Im Hinblick auf einen Zwangswechsel der Hartz-IV-Empfänger in die GKV könne es ebenfalls zu einer ungerechtfertigten Sonderbelastung kommen. In der Anhörung des Sozialausschusses zur Neuregelung der Hartz-IV-Regelsätze habe Heinrich Alt aus dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit bemerkt, dass ein Zwangswechsel Fehlanreize für ältere Beschäftigte setzen könnte. Die könnten Langzeitarbeitslosigkeit in Kauf nehmen, um in der Rentenphase in die gesetzliche Kasse zu wechseln und damit die hohen Kosten der Privatversicherung vermeiden. PKV-Verbandsdirektor Volker Leienbach verlangte, der Gesetzgeber sollte die Deckungslücke „schnellstmöglich reparieren, indem wieder vollständige Krankenversicherungsbeiträge erstattet werden“.

Ob das mit der für nächste Woche geplanten Änderung der Hartz-IV-Regelsätze geschehen wird, ist offen. Bis Dienstag müsste die Koalition sich auf eine Regelung einigen, die Freitag vom Plenum beschlossen werden könnte. (F.A.Z., 25.11.2010)

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