Hartz IV- Der Beziehungskiller

Katharina und Michael lieben sich, leben zusammen, ohne verheiratet zu sein. Er ist schon lange ohne Job. Grund genug für die Arbeitsagentur, sich ständig in das Leben des Paares einzumischen – obwohl die Frau ihr eigenes Geld verdient. Das macht sie wütend und hilflos.

Neulich war wieder so ein Tag. Da mussten der 47-jährige arbeitslose Michael und die 32 Jahre alte Sprachlehrerin Katharina gemeinsam zur Arbeitsagentur. „Schon wenn wir das Gebäude der Arge betreten, sinkt unsere Laune auf den Nullpunkt“, sagt Katharina. Alles wirkt auf sie bedrückend und belastend, dort auf den langen Fluren. Wobei Michael ja noch einsehen würde, dass er hier zu erscheinen hat. Aber Katharina hat hier, davon sind beide felsenfest überzeugt, „nun gar nichts zu suchen. Ich habe doch einen Job“, beklagt sie sich. Von dem Geld, das sie als freiberufliche Sprachlehrerin verdient, könnte sie einigermaßen gut leben. Nur für zwei, da reicht es nicht.

Katharina und Michael (die eigentlich ganz anders heißen aber gerne anonym bleiben möchten) sind ein Paar, unverheiratet, ohne Kinder. Eines Tages beschlossen sie, zusammen zu ziehen. Das hätten sie nicht tun sollen. Denn seither mischt sich die Arbeitsagentur, die sogenannte Arge, ständig in ihr Leben ein. Nicht nur in das von Michael, sondern auch in das von Katharina, die ihr eigenes Geld verdient. Offiziell gilt Katharina ebenso wie Michael als Hartz-IV-Empfängerin. Mit allen Konsequenzen, die das nach sich zieht. So muss sie sich jede größere Büro-Anschaffung von der Arge genehmigen lassen; muss Reisen, ob beruflich oder privat, offiziell dort anmelden; muss ihre Konten offenlegen; Formulare ausfüllen. Wird insgesamt so behandelt, als wäre sie arbeitslos und damit leistungsberechtigt.

Der Ärger mit der Behörde begann, als die beiden in eine gemeinsame Wohnung zogen

Michael hat das Nachsehen. Er ist der erste, dem sie ihr „ungutes Gefühl in die Schuhe schieben kann“. An solchen Tagen wie neulich entlädt sich dann später, draußen vor dem Arge-Gebäude, Katharinas Zorn, sie schimpft und tobt, beide fetzen sich. „Wir sind danach wie gegeneinander gebürstet“, beschreibt Michael solche Momente. Auch wenn sie sich bald wieder versöhnen, der Frust und die Wut bohren weiter in ihnen. Weshalb Michael sofort loswettert, wenn man ihn hierauf anspricht: „Es ist in der Tat so, dass da Menschen zu Hartz IV-Empfängern gemacht werden, die es eigentlich nicht sind. Es ist eine Ungerechtigkeit gegenüber Katharina, die durch nichts zu rechtfertigen ist.“ Er fühlt sich in seiner sowieso schon schwierigen Situation noch besonders unwohl dadurch, dass er seine Partnerin „in den Strudel der Arbeitslosigkeit mit hineinzieht“.

Der Ärger mit der Arge begann damit, dass Michael seinen Job als Betriebsrat eines großen Unternehmens kündigte, weil er einfach die Differenzen mit der Geschäftsleitung nicht mehr aushielt. Er bekam eine Abfindung und versuchte zunächst – gemeinsam mit Katharina – im Ausland Fuß zu fassen. Was nicht gelang. Also kehrten beide zurück nach Deutschland, Katharina arbeitet seitdem als Sprachlehrerin, Michael meldete sich bei der Arge arbeitslos. Dort teilte man ihm mit, er müsse zunächst seine Abfindung aufbrauchen. Danach erst würde er leistungsberechtigt.

Danach fingen allerdings die Probleme auch schon an. Seitdem werden er und Katharina von der Arge über einen Kamm geschoren. Auslöser war die gemeinsame Wohnung, in die sie irgendwann zogen. Spätestens als Michael bei der Arge freimütig hiervon erzählte, interessierte sich sein dortiger Sachbearbeiter plötzlich auch für Katharina. „Was mir völlig unverständlich war, weil wir ja nicht verheiratet sind“, wunderte sich Michael. Bald schon erfuhr er, dass der Gesetzgeber jedes Paar – egal ob verheiratet oder nicht – das länger als ein Jahr zusammenlebt, zu einer sogenannten „Bedarfsgemeinschaft“ erklärt. Mit allen sich daraus ergebenden Unannehmlichkeiten.

„Die Arge geht davon aus, dass man durch den Synergie-Effekt des gemeinsamen Wirtschaftens Ersparnisse hat“, was Katharina ja noch einleuchtet. Doch die Folgen hieraus für sie sind lästig, zeitaufwendig und diskriminierend. Ständig erhält sie Briefe mit der „Aufforderung zur Mitwirkung“. Darin heißt es: „Sehr geehrte Frau …, mit Schreiben vom …. habe ich Sie gebeten, bei der abschließenden Klärung Ihres Anspruches auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts mitzuwirken. Bisher liegen folgende Unterlagen nicht vor.“ Sie wird immer wieder zur Arge mit der schriftlichen Aufforderung zitiert: „Um Ihre persönliche Situation zu verbessern, laden wir Sie zu einem Gespräch ein. Wir möchten Ihnen noch Tipps geben, wie Sie mehr Geld verdienen können.“ Und „weil natürlich bei denen in unserer Akte auftaucht, ach, einer unserer Leistungsempfänger, in dem Fall Michael, hat eine Partnerin die arbeitet. Die verdient so und so viel. Vielleicht können wir das verbessern. Deshalb versuchen die uns beide zu vermitteln und mischen sich ins Leben von uns beiden ein.“

Mit gehangen, mitgefangen. So jedenfalls fühlt sich Katharina, die kein Hartz IV bezieht, aber wie eine Hartz IV-Empfängerin behandelt wird. Sie gilt als „fiktiv hilfebedürftig“, wie ihr Zustand amtsdeutsch heißt. Was sie nervt, wogegen sie aber partout nichts tun kann. Die ständig eintrudelnden Briefe könnte sie allesamt „in die Tonne werfen“, wenn die anfangen, „um weiterhin Leistung von uns beziehen können, sind Sie verpflichtet, zu diesen Gesprächen zu kommen“. Sie schreibt immer zurück, „ich beziehe keine Leistungen von Ihnen.“ Prompt bekommt sie als Antwort: „aber Sie wirtschaften gemeinsam mit Ihrem Partner.“ Daraufhin entgegnet Katharina: „stimmt gar nicht, jeder hat sein eigenes Konto“. Die Arge überweist auch die Unterstützung für Michael stets auf sein Konto und schreibt dann an Katharina: „Sie beziehen ja Leistungen von uns“. Das macht Michaels Partnerin wütend – aber auch hilflos. Vor allem, wenn sie wieder vor so einem Schreiben sitzt und denkt, „das baut doch schon auf einer Lüge auf. Da will ich gar nicht mehr mit denen drüber reden.“

Die Bremer Rechtswissenschaftlerin Ursula Rust kennt sich mit dem rechtlich für sie äußerst fragwürdigen Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft gut aus und kritisiert vor allem, dass man „durch diese Bedarfsgemeinschaft Auskunft geben muss über Sachen, die man ansonsten eigentlich in einer Partnerschaft nicht erzählt“. Man muss seinen Kontostand offenlegen, seine Verdienste bekannt geben. Angestellte müssen ihre Arbeitgeber bitten, Bescheinigungen über ihr Gehalt auszustellen. Was höchst unangenehm sein kann, Gebühren kostet, Zeit in Anspruch nimmt und dazu führt, dass so ein Chef „ganz viel über das Familieninnenleben erfährt, somit über Dinge, die ihn eigentlich nichts angehen“.

Seitdem Katharina mit Michael eine Bedarfsgemeinschaft bildet, wird sie mehr und mehr für ihn und für die Arge zum gläsernen Menschen. „Dadurch, dass die Arge immer wissen will, wie viel ich verdiene, muss ich im Grunde genommen die Hosen runter lassen – gegenüber der Arge und somit auch gegenüber Michael.“ Dabei würden beide gerne ein Quäntchen Privates vor dem Partner schützen. Von Michael hat sie noch nie einen Kontoauszug eingesehen, weiß bis heute nicht, wie hoch damals seine Abfindung war. „Was ja auch vollkommen legitim ist. Es ist so eine Ungleichheit entstanden und ich habe das Gefühl, ich lege alles offen, während das bei Michael nicht der Fall ist. Dadurch entsteht in der Beziehung ein Ungleichgewicht, was mich bis heute sehr stört.“

In ihrem Freundeskreis gelten Michael und Katharina inzwischen als naiv, weil sie so unbekümmert ihr Zusammenleben der Arge gegenüber angegeben haben. Sie hätten doch tricksen und so tun sollen, als ob sie gar nicht zusammenlebten, heißt es dann. Damit wären sie raus aus der ganzen Bedarfsgemeinschafts-Qual. Viele Paare verhalten sich inzwischen so. Belügen die Arge wegen der finanziellen und persönlichen Konsequenzen, die eine Bedarfsgemeinschaft für sie hätte.

Die Folgen aus diesem Gesetz seien krass, meint auch Juristin Rust: „Wenn eine Alleinerziehende mit einem Partner zusammenziehen will, bekommt damit der Partner die finanzielle Verantwortung für die Kinder aus der früheren Beziehung ebenso wie für die neue Partnerin. Wenn in Beratungsstellen dann ausgerechnet wird, was da auf den Mann zukommt, überlegt er sich das sicherlich nochmal mit dem Zusammenziehen.“ Die Juristin vertritt eine Mutter vor dem Bundessozialgericht, für deren Kinder aus erster Ehe nun der Stiefvater aufkommen soll – weil er mit ihr eine Bedarfsgemeinschaft bildet.

Und die Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, Monika Paulat, führte kürzlich die zunehmende Klageflut von Hartz-IV-Empfängern vornehmlich auf die unklaren Regelungen zum Thema Bedarfsgemeinschaft zurück. Dabei gehe es vor den Sozialgerichten hauptsächlich um die Frage: Wer zählt zu einer Bedarfsgemeinschaft und wie sind die Einkünfte der darin lebenden Menschen anzurechnen?

Ursula Rust hält die Bedarfsgemeinschaft genau deshalb für einen Beziehungskiller. Sie weiß, dass immer mehr Paare von Beratungsstellen wissen wollen: „Kann ich mir ein Zusammenziehen mit Freund oder Freundin überhaupt leisten?“ Durch das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft wird Paarbildung ihrer Meinung nach „deutlich behindert“. Bei diesem Gedanken muss Katharina ein wenig schmunzeln. „So jemand wie Michael als Hartz-IV-Empfänger wäre auf dem partnerschaftlichen Markt nur sehr schwer an die Frau zu bringen. Wer zieht schon mit jemandem zusammen, bei dem es dann sofort heißt, ja jetzt müssen wir übrigens zur Behörde, du musst ab jetzt für mich mit aufkommen.“

Mit der Bedarfsgemeinschaft hat der Staat sich etwas ausgedacht, was für die Beteiligten eigentlich nur Nachteile hat. Michael zum Beispiel hat keinerlei Rechtsanspruch auf das Geld, das Katharina laut Arge-Berechnung von ihrem Verdienst zu seiner Versorgung abzweigen soll. „Wenn jemand verheiratet ist, dann ist man verantwortlich füreinander vor dem Gesetz. Dann erbt man auch. Und hat steuerlichen Vorteil. Den hat Katharina nicht. Sie wird so versteuert, als wenn sie nur für sich selbst sorgen würde“, ärgert sich Michael. „Das ist eine Lücke“, erklärt Juristin Rust. „Neuerdings haben beide Partner keine Alterssicherung. Das ist eine Bombe, die tickt.“

Mit seinem Kontrollwahn spart der Staat kein Geld. Im Gegenteil, er gibt mehr aus

Bei all dem Ärger haben Katharine und Michael allerdings noch Glück gehabt. Wenn mit der Bedarfsgemeinschaft nicht so viele unangenehme Begleiterscheinungen einhergingen, hätten sie keinen Grund, sich zu beklagen. Denn obwohl dieses Konstrukt ja geschaffen wurde, damit der Staat Geld spart, hat es in ihrem Fall einen gegenteiligen Effekt: Beide bekommen etwa 70 Euro im Monat mehr, als wenn die Arge Michael alleine die ihm zustehende Hartz IV-Summe bezahlen würde und Katharina hierzu ihren Eigenverdienst rechnete. In ihrem Fall aber werden beide Einkommen zusammengezählt, Miete und Strom abgezogen, der Rest durch zwei geteilt „und dann“, erklärt Michael die komplizierte Berechnung, „wird das aufgestockt. Das ist das Paradoxe an der Sache. Der Staat ist so dämlich, dass er auf die Art und Weise sogar mehr Geld ausgibt.“

Doch auf die 70 Euro würden Katharina und Michael gerne verzichten, „wegen der nervlichen Belastung“, sagt Michael, „die uns da quasi immer wieder zwischen die Beziehung geschoben wird. Es ist eine richtige nervige Sache.“

Die Beziehung von Katharina und Michael ist trotz aller Schwierigkeiten, die ihnen die Arge bereitet, nicht gescheitert. Michael versichert, „dass sie, wenn überhaupt, eher daran gewachsen ist“. Aber sie hat sich verändert. Sobald wieder ein amtliches, an Michael adressiertes Schreiben eintrifft, sinkt Katharinas Stimmung. „Ich weiß natürlich genau, es betrifft auch mich. Dann sitz ich vor diesem Brief und gucke, was ist das wieder für eine Kiste der Pandora.“ Inzwischen öffnet sie solche Briefe einfach. Das hätte sie früher nie getan. Sie ist sich im Klaren darüber, dass es sich „eigentlich nicht gehört“, die Privatspähre ihres Partners so zu verletzen. „Aber wenn ich sehe, der Brief kommt von der Arge, weiß ich, der geht uns beide an.“

 

Bedarfsgemeinschaft

Der Begriff steht im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und betriffft im Speziellen Langzeitarbeitslose und ihre Familien oder Partner, selbst wenn sie nicht miteinander verheiratet sind. Dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft liegt die politische Entscheidung zu Grunde, dass Personen, die besondere persönliche oder verwandtschaftliche Beziehungen zueinander haben und die in einem gemeinsamen Haushalt leben, sich in Notlagen gegenseitig materiell unterstützen.
Wer in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, mutiert ungewollt für die Arbeitsagenturen zum Hartz IV-Empfänger – auch wenn er gar nicht arbeitslos ist und für sein eigenes Auskommen genug verdient.
In einer Wohngemeinschaft wohnen Menschen zusammen – keiner ist jedoch für den anderen zuständig. In einer Bedarfsgemeinschaft ist das anders. Deswegen wurden die Gesetze so geändert, dass möglichst viele als Bedarfsgemeinschaft angesehen werden – und der Staat gegebenenfalls Geld sparen kann. Den Beweis, dass sie lediglich eine gemeinsame Wohnung haben, aber nicht wirklich miteinander leben, müssen die Betroffenen selbst führen.
Kinder unter 25 Jahren gehören nicht zur Bedarfsgemeinschaft ihrer Eltern, wenn sie ihren Bedarf durch eigenes Einkommen decken können oder wenn sie selbst ein Kind haben.
(
FR, Ingrid Müller-Münch, 27.06.2011)

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