Wo Wut wächst – Erwerbslosen-Initiativen kritisieren Umgang mit Hartz IV-Empfängern in Jobcentern

“Die Sonne sank, bevor es Abend wurde”, steht neben dem Foto von Christy Schwundeck. Es zeigt die Deutsche nigerianischer Herkunft strahlend in weißem Brautkleid. Grablichter flackern um das große Plakat, das am Gitterzaun vor dem Jobcenter an der Mainzer Landstraße hängt. Blumensträuße und ein Gebinde mit der Aufschrift „Wir trauern um Christy Schwundeck” liegen am Boden. Am 19. Mai wurde die 39-Jährige von einer Polizistin nach einem Streit im Jobcenter erschossen, als sie einen Polizeibeamten mit einem Messer attackierte und verletzte.

„Wir wollen wissen, was hier passiert ist”, ruft ein Vertreter der nigerianischen Gemeinde in Frankfurt ins Mikrofon. Und dass sie nicht ruhen werden, bis Polizei und Jobcenter die Vorgänge lü­ckenlos aufklären. Die Umstehen­den applaudieren, etwa 25, fast alles Vertreter von Erwerbslosen-Initiativen, sind an diesem regne­rischen Dienstagnachmittag zum Gedenken an Christy Schwun­deck gekommen, zu dem unter anderen Bernhard Walch von „Zusammen e.V.” aus Rödelheim aufgerufen hat, ein Verein, der Hartz-IV-Empfänger berät und zu den Jobcentern begleitet. Bei der Aktion geht es denn auch nicht nur um Gedenken oder um Protest gegen unverhältnismäßige Polizeieinsätze, die gegen Schwarze und Ausländer oft noch heftiger ausfielen. Die Organisa­toren wollen vor allem den Alltag in den Jobcentern anprangern, wo „täglich Recht gebrochen werde”, wie Walch sagt, und es eine regelrechte „Hierarchie der Diskriminierung” gebe, wie seine Vereinskollegin Aitak Barani es formuliert. „Roma, dann Schwarze, dann Afghanen… Und das wird immer schlimmer.” Die Schikane fange schon bei den Anträgen an, die oft erst nach Wochen und zig Terminen abgegeben werden könnten, weil ständig neue Unterlagen nachgefordert würden. Berechtigte Leistungsan­sprüche würden in der Regel erst mal verweigert, Anträge verschleppt.

Walch erzählt von einer Mutter, die im März aus dem Topf für Bildungsgutscheine Turnvereinsbeitrag, Geld für einen Ausflug und für Schulessen beantragt hat. Im Mai habe die Sachbearbeiterin – nach zig Nachforderungen zu Unterlagen – erklärt, sie brauchten erst eine Sitzung, wie in solchen Fällen verfahren werde. Oder von dem jungen Mann, dem ohne Vorwarnung und Bescheid sein Geld nicht überwiesen wurde, weil er zu einem Termin nicht erschien. Oder von Aufstockern, denen das Geld so spät ausgezahlt wird, dass sie keinen Büro übers Wochenende hätten, die ihnen für solche Fälle aber vorgesehene Barauszahlung verweigert wird.

Schilderungen, die Anna Veit vom Frankfurter Arbeitslosenzentrum nur zu gut kennt. Auch sie sagt, dass es Personen mit ausländischen Wurzeln schwerer hätten, Rechtsansprüche durchzusetzen. „Das geht ganz subtil.” Ein Ratsuchender bestätigt das: Nach gut einem Monat und fünf Besuchen im Jobcenter sei er seinen Antrag noch immer nicht losgeworden. In Salamitaktik kämen immer neue Forderungen. „Die verarschen mich.”

Dass Ratlosigkeit in Wut um- l schlägt, Situationen wegen 50 Euro eskalieren wie bei Christy i Schwundeck, wundert bei der Gedenk-Demo im Gallus niemand. Am Empfang in den Jobcentern würden immer häufiger nur ange­lernte Ein-Euro-Jobber und Aufstocker sitzen, sagt Walch. Ebenso bei der Security, die oft aggressiv auftrete. Der Vertreter einer Ha-nauer Erwerbsloseninitiative hat es selbst erlebt: Er sei von einem gerufenen Security-Mann von seinem Stuhl getreten worden, sagt er. W eil er von einer Sachbearbeiterin eine Unterlage quittiert ha­ben wollte und darüber Streit entbrannte. Alltag im Jobcenter, sagt Walch. „Die Ausnahme bei Christy Schwundeck ist nur, dass sie erschossen wurde.”(Anita Strecker, FR, 1.6.2011)

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