Jobcenter dürfen Rente vorzeitig beantragen

Ausnahmen gibt es nur für ALG-II-Empfänger, die vor dem 1. Januar 2008 58 Jahre alt waren
(Von Gudrun Oelze) Seit September bedrängte man die ALG-II-Bezieherin, selbst den Rentenantrag zu stellen. “Ich habe mich gesträubt, weil ich erst mit 65 und dann die volle Rente haben wollte”, schrieb die Frau, für die im November dann einfach das Jobcenter den Rentenantrag stellte. “Was kann ich dagegen tun?”, fragte sie verzweifelt.

63 Jahre alt, sollte eine Magdeburgerin in Rente gehen – mit erheblichen Abzügen. Weil sie selbst das nicht wollte, stellte das Jobcenter den Antrag für sie. Das ist im Prinzip rechtens, doch gibt es auch Ausnahmen.

Im Prinzip nichts, denn nach dem Willen des Gesetzgebers ist grundsätzlich auch eine geminderte Altersrente eine den Leistungen zur Grundsicherung vorrangige Leistung. “Das bedeutet, dass diese zu beanspruchen ist, wenn die Voraussetzungen vorliegen”, informierte die Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit.

Wenn ein Hilfebedürftiger also Anspruch auf eine Altersrente habe – egal ob gemindert oder nicht – bestehe kein Anspruch mehr auf ALG II oder Sozialgeld. Betroffene könnten dann ja Leistungen zur Grundsicherung im Alter beantragen, wenn die bei Langzeitarbeitslosen meist knappe Rente nicht für den Lebensunterhalt reiche. Ein Hilfebedürftiger sei laut Gesetz verpflichtet, selbst die geminderte Altersrente zu beantragen. Tut er es nicht, “ist das Jobcenter berechtigt, den Antrag für ihn zu stellen. Ein Widerspruch durch den Kunden ist nicht möglich”, so die eindeutige Antwort aus Halle.

Auch die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland bestätigt, dass die SGB-II-Behörden auch gegen den Willen Betroffener die vorzeitige Rente beantragen dürfen. Bei der Rentenversicherung gehe man davon aus, “dass die Versicherten in diesem Verfahren von den Jobcentern rechtzeitig über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt bzw. informiert worden sind”.

Beantragen Jobcenter für einen Hilfebedürftigen Rente, weil dieser es selbst nicht tat, “sind wir verpflichtet, den Rentenantrag anzunehmen, da dieses Antragsrecht der Jobcenter gesetzlich so geregelt ist”, sagt Pressesprecher Matthias Jäkel. Selbstverständlich werde geprüft, ob es sich um eine wirksame Antragstellung handele. “Die Prüfung kann sich aber nur darauf beschränken, ob die Voraussetzungen des 63. Lebensjahres erfüllt sind oder – bei entsprechendem Vorbringen des Versicherten – inwieweit der Versicherte eine Aufforderung zur Rentenantragstellung mit angemessener Fristsetzung vom Jobcenter erhalten hat.” Erfolgte dies nicht, “liegt keine wirksame Antragstellung vor. Dann würden wir den Antrag zurückweisen”.

Die Regelung, dass ALG-II-Bezieher sozusagen von Amts wegen ab Vollendung des 63. Lebensjahres vorzeitig in Rente geschickt werden können, ist seit 1. Januar 2008 in Kraft. Doch der Gesetzgeber hat einige Ausnahmen bestimmt. Eine Unbilligkeitsregelung sieht vor, dass eine gekürzte Altersrente nicht beantragt werden muss, wenn der Hilfebedürftige zusätzlich ALG I nach dem SGB III bezieht, den Anspruch auf ungeminderte Rente innerhalb von drei Monaten erwirbt oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübt oder innerhalb von drei Monaten in Aussicht hat. Und “Bestandsschutz” haben jene, die vor dem 1. Januar 2008 58 Jahre alt waren und danach ununterbrochen Anspruch auf ALG II hatten. Sie brauchen erst Altersrente zu beanspruchen, wenn sie ungekürzt bezogen werden kann.

Wer aber erst nach dem 1. Januar 2008 Anspruch auf Arbeitslosengeld II bekam, hat keine Chance, der “Zwangsverrentung” zu entgehen. Ohne “Bestandsschutz” und außerhalb der “Unbilligkeitsregelung” ist jeder Hartz-IV-Bezieher verpflichtet, “ab Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters auch mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen, wenn er dazu aufgefordert wird”, bekräftigt die Rentenversicherung. Die Prüfung obliege der Zuständigkeit des Jobcenters. Der Rentenversicherungsträger habe dazu kein eigenständiges Prüfungsrecht.

Unsere Leserin, Jahrgang 1948, war zum “Stichtag” 1. Januar 2008 58 Jahre alt und bezog seither ununterbrochen ALG II. Warum sollte sie keinen Bestandsschutz haben? , fragten wir beim Jobcenter der Landeshauptstadt nach. Tatsächlich musste man dort einräumen, dass für diese Frau zu Unrecht Altersrente beantragt worden war. Sie genießt eindeutig den in den Ausnahmefällen aufgeführten Bestandsschutz. Für das Versehen entschuldigte man sich bei ihr und versicherte, dass sie weiterhin ALG-II-Leistungen erhalten könne, bis sie ohne Abzüge Anspruch auf Altersrente hat. (Volksstimme.de, 19.12.2011)

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