Hartz-Sanktionen sind zu hart

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

Kritik an Hartz IV kommt jetzt auch aus dem Innern der Arbeitsagenturen. Jobvermittler halten die scharfen Sanktionen gegen junge Arbeitslose für falsch. Der totale Leistungsentzug kann demnach Kleinkriminalität und Verschuldung fördern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Die Autoren der Studie appellieren an den Gesetzgeber, die Sanktionen für junge Hartz-IV-Empfänger grundlegend zu überdenken. Ihr Wort hat Gewicht, denn das IAB ist die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Doch die Behörde schlug den Rat der Wissenschaftler zunächst in den Wind: BA-Vorstand Heinrich Alt verteidigte gestern den Leistungsentzug: „Wir müssen konsequent in der Ansage sein statt herumzueiern“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa.
Junge Arbeitslose bis 24 Jahre werden besonders oft und besonders scharf bestraft: Eine einzige „Pflichtverletzung“ genügt, und das Arbeitslosengeld II wird komplett gestrichen, für bis zu drei Monate. Bestraft wird etwa, wer ein Bewerbungstraining grundlos abbricht, einen Ein-Euro-Job oder eine Ausbildung ablehnt. Ältere Hilfsempfänger müssen dagegen „nur“ mit einer Kürzung rechnen.

Im Wiederholungsfall erhalten junge Jobsuchende auch kein Geld mehr für Wohnung und Heizung. Der Staat hat rund 30300 Menschen zwischen Januar 2008 und Juli 2009 sämtliche Leistungen gestrichen, berichtet das IAB.

Die meisten interviewten Vermittler und Fallmanager betrachten den kompletten Hilfsentzug als „zu hart und oft wenig sinnvoll“, heißt es in dem IAB-Bericht. Der Straf-Schuss kann sogar geradewegs nach hinten losgehen: Das Hartz-IV-System soll eigentlich die Aufnahme eines dauerhaften Jobs fördern. Doch die Sanktionen und ihre Folgen wie Verschuldung und die Aufnahme „perspektivloser Jobs“ könnten genau dies erschweren.

Die mittellosen Menschen seien „nur noch damit beschäftigt, sich über Wasser halten“, sagte ein Jobcenter-Mitarbeiter den Wissenschaftlern. Ein anderer erklärte: „Es ist zu hart, die fliegen aus der Wohnung und kommen keinen Schritt weiter. Ziel des SGB II ist Integration in den Arbeitsmarkt. Leute obdachlos zu machen, geht am Ziel vorbei, finde ich.“ Die Dachorganisation der Wohnungslosenhilfe habe bereits 2008 von einem deutlichen Anstieg der Zahl obdachloser junger Menschen berichtet, so das IAB.

Der Hilfsentzug könne die Gefahr von Schwarzarbeit und Kleinkriminalität erhöhen. Eine Jobcenter-Fachkraft erzählte: „Hat mir eine Mutter schon vorgeworfen: Was kürzen Sie denn meinen Sohn, jetzt klaut er wieder.“

Eher positiv bewerten Vermittler mildere Sanktionen wie eine Hilfskürzung um zehn Prozent bei Meldeverstößen. Auch bei größeren Verstößen würden sie ein abgestuftes Vorgehen vorziehen.

Im Dezember wurden zehn Prozent der unter 25-Jährigen mit Sanktionen belegt, bei älteren Arbeitslosen waren es nur drei Prozent. Oft werden sie zu Unrecht gemaßregelt: 2008 waren 37 Prozent aller Widersprüche erfolgreich. Auch deswegen fordert ein Bündnis aus Wissenschaftlern, Kirchenvertretern, Gewerkschaftern und Politikern, die Hartz-Sanktionen auszusetzen. (Von Eva Roth, 14.05.2010)

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