Von „Stoppt den Hartz-IV-Betrug in Kassel“ steht groß auf den Plakaten, die die Kasseler Linke in der Nacht zum Montag vor das Rathaus gestellt hat. Die Linken werfen der Stadtspitze und der Arbeitsförderung Kassel Stadt (AfK) vor, die Zahlungen für Unterkunft und Heizung von Hartz-IV-Empfängern zu gering zu bemessen. Und sie haben angekündigt, Strafanzeige gegen den Kasseler Kämmerer und Sozialdezernenten Jürgen Barthel (SPD) und gegen AfK-Geschäftsführer Detlev Ruchhöft zu erstatten.
Es gehe um den Verdacht des Betruges in mehr als 2000 Fällen und einen Schaden von mehr als zwei Millionen Euro, heißt es in dem Schreiben an die Staatsanwaltschaft. Mit der Anzeige wollen die Linken den Druck für Änderungen erhöhen.
Der Konflikt im rot-grün regierten Kassel währt schon lang. Noch bis in dieses Jahr hinein bekamen Langzeitarbeitslose dort eine Pauschale für Miete und Heizung überwiesen. Doch bereits im Juli 2009 hatte ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) klargestellt, Heizkosten für eine „angemessene Wohnung“ müssten in voller Höhe übernommen werden.
Erst im Februar beschloss das Stadtparlament, die Pauschalierung aufzugeben. Die neue Praxis greift laut Stadt seit 1. Mai 2010. Zu all diesen Vorgängen hatte die Linksfraktion einen Ausschuss zur Akteneinsicht durchgesetzt.
Linke will Kämmerer anzeigen
„Sie wussten, dass ihre Beschlüsse rechtswidrig sind zulasten der Menschen, die das Geld brauchen“, sagte der Oberbürgermeisterkandidat der Linken Kai Boeddinghaus am Montag zur Frankfurter Rundschau. Er sprach von „strafwürdigem Handeln“.
Mittags im Rathaus. Im Foyer steht ein Warnschild: „Achtung, Städte und Gemeinden in Not“. Es geht um die Finanzlage der Kommunen. Ein Stockwerk höher wehrt sich Kämmerer Barthel gegen die Vorwürfe der Linken. „Das halte ich für ehrabschneidend“, sagt er über die angekündigte Anzeige. Er finde es auch nicht angemessen, politische Auseinandersetzungen mit Instrumenten des Strafrechts zu führen. Der Vorwurf, jemand sei bewusst geschädigt worden, sei „völlig unsinnig“.
Barthel erklärt die Verzögerungen beim Pauschalierungs-Ausstieg so: Erst im Oktober 2009 habe die Urteilsbegründung des BSG vorgelegen. Gleichzeitig habe die neue Bundesregierung angekündigt, Möglichkeiten der Pauschalierung zu prüfen. „Natürlich haben wir überlegt, ob wir umstellen“, sagt er. Man habe sich dazu entschlossen. Ein längerer Vorlauf sei dabei „technisch einfach notwendig“.
Alte Bescheide würden geprüft und fehlendes Geld rückwirkend zum 1. Juli 2009 erstattet, betont Barthel. Die Linke aber prangert auch die neue Praxis bei den Unterkunftskosten an: Schon viermal habe das Sozialgericht Kassel in Eilbeschlüssen Hilfe-Empfängern mehr Geld zugestanden. (Katja Schmidt, FR, 9.11.2010)