Absurdes Deutschland: Wenn Hartz-IV-Empfänger in ihrem Badezimmer einen Boiler haben, bekommen sie einen Warmwasser-Zuschuss. Doch kurioserweise gibt es für Kinder weniger als für Erwachsene. Bei der Berechnung des Hartz-IV-Satzes führt das zu abenteuerlichen Konstellationen.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) gehört zu den besten Kunden der Post. Jahr für Jahr verschickt die Behörde etwa 25 Millionen Hartz-IV-Bescheide. Künftig dürfte die Zahl dieser Schreiben um etliche hunderttausend zunehmen. Dies liegt an einem Paragraphen, der bei der Hartz-IV-Reform Anfang 2011 – weitgehend unbemerkt – ins Sozialgesetzbuch II wanderte. Dabei geht es um die unter Juristen durchaus ernsthaft diskutierte Frage, wie viele Euro einem Hartz-IV-Bezieher mit einem Boiler zusätzlich zustehen und ob Babys mehr oder weniger Warmwasser für die tägliche Hygiene benötigen als ältere Geschwister.
Bundesweit gibt es etwa 3,4 Millionen Hartz-IV-Haushalte. Etwa 20 Prozent von ihnen versorgen sich getrennt von der Heizung elektrisch mit Warmwasser. Sie nutzen Boiler, Durchlauferhitzer oder eine Gastherme, um ihr warmes Wasser zu bekommen – und erhalten deshalb extra Geld vom Jobcenter. Dafür sorgt der neue Paragraph, der mitten hineinführt in die Irrungen und Wirrungen der deutschen Sozialgesetzgebung.
Bei der Hartz-IV-Reform einigten sich Bund und Länder darauf, die Kosten für Warmwasser in Höhe von früher 6,47 Euro für einen Erwachsenen aus der Berechnung des Regelsatzes von derzeit monatlich 364 Euro herauszunehmen. Der Anteil muss deshalb nicht wie in der Vergangenheit bei der Übernahme ihrer Ausgaben für die Miete und Mietnebenkosten wieder abgezogen werden. Dies funktioniert aber nur bei Hartz-IV-Empfängern mit Zentralheizung und einer entsprechenden Abrechnung.
Bei den anderen mit Boilern sind die Kosten für das Warmwasser versteckt in der Stromrechnung enthalten, die sie selbst zahlen müssen. Diesen Mehraufwand sollen die Jobcenter rückwirkend seit 2011 erstatten. Ein Alleinstehender erhält acht Euro im Monat für die warme Dusche. Bei 14- bis 17-Jährigen sind es vier, bei 6- bis 13-jährigen Kindern drei Euro. Dies entspricht immer einem bestimmten Prozentsatz ihres jeweiligen Regelsatzes. Kleinkindern bis zu fünf Jahren stehen zum Beispiel 215 Euro Hartz IV zu. Ihr Warmwasser-Mehrbedarf beläuft sich auf 0,8 Prozent, aufgerundet sind das zwei Euro.
Die Pauschalen, die auf Daten über den Energieverbrauch in Privathaushalten beruhen, dürften ausreichend Stoff für viele neue Hartz-IV-Verfahren vor den Sozialgerichten bieten: Brauchen Kinder mit Windeln nicht häufiger warmes Wasser als diejenigen, die die Toilette benutzen? Benötigt ein 17-Jähriger, der einen Kopf größer als sein Vater ist, nicht mehr warmes Wasser als sein Erzeuger und damit einen höheren Zuschlag?
Harald Thomé, Chef des Erwerbslosenvereins Tacheles in Wuppertal, ist überzeugt, dass „das Bemessungsverfahren für den Energie- und den Warmwasseranteil des Kinderregelsatzes jeglicher empirischen Grundlage entbehrt“. Er rechnet mit einer Klagewelle in Sachen Warmwasser. In den Jobcentern hat der Paragraph dazu geführt, dass die Mitarbeiter genau auf die Geburtstage der jungen Hartz-IV-Empfänger achten: Immer wenn ein Kind von der einen in die nächste Altersgruppe rutscht und sich die Warmwasser-Pauschale dadurch erhöht, ist ein neuer Hartz-IV-Bescheid nötig.
Thomas Schneider, Geschäftsführer eines der größten Jobcenter Deutschlands in Berlin-Mitte, sagt: „Unsere Kernaufgabe ist es, Menschen in Beschäftigung zu bringen. So verständlich die individuellen Anliegen sozial auch sind, in der Zeit, in der wir uns mit Warmwasser-Pauschalen beschäftigen, bringen wir niemanden in Arbeit.“ (Thomas Öchsner, süddeutsche.de, 22.09.2011)