Merkel zeigt Interesse an ALG-II-Kürzung

(netzeitung.de 06, Sep)

Die Kritik am Vorschlag des Sachverständigenrates, das Arbeitslosengeld II deutlich zu kürzen, reißt nicht ab. Kanzlerin Merkel äußerte sich jedoch nicht so ablehnend wie ihr Koalitionspartner.

Die vom Sachverständigenrat vorgeschlagene Kürzung des Arbeitslosengeldes (ALG) II bleibt in der Kritik. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich aber deutlich weniger ablehnend als der Koalitionspartner: Die Koalition werde «mit Interesse auch Sachverständigen-Gutachten» in die im Herbst anstehende Diskussion um das neue Niedriglohnkonzept einbeziehen, sagte die Kanzlerin am Mittwoch in der Generaldebatte des Bundestages. Entscheidend sei, dass jemand, der arbeite, mehr Geld habe, als jemand, der nicht arbeite.

SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler hatte zuvor den Vorschlag des Experten-Gremiums kategorisch abgelehnt. «Eine Politik des ‘Hängt den Brotkorb höher’ wird es mit der SPD nicht geben», stellte Stiegler im Gespräch mit der Netzeitung klar.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat im Auftrag der Bundesregierung ein Sondergutachten zu Kombilohn-Modellen erstellt, das an diesem Freitag Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) überreicht werden soll. Darin empfehlen die Experten nach Medienberichten, den ALG-II-Regelsatz um 30 Prozent zu kürzen und im Gegenzug die Möglichkeiten eines Hinzuverdienstes für Erwerbslose zu erweitern. Nach Berechnung der Experten könnten rund 350.000 neue Stellen für gering Qualifizierte und Langzeitarbeitslose geschaffen werden.

Michael Sommer, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) wandte sich strikt gegen eine solche Absenkung. «Das ist die Fortsetzung der Perversion», sagte er im Deutschlandradio Kultur. Der Staat zahle dann für einen Großteil der Arbeitgeber im Niedriglohnbereich die Löhne, und die Arbeitnehmer könnten trotzdem nicht von ihrem Arbeitseinkommen leben. Es müsse eine Grenze nach unten eingezogen werden, verlangte Sommer und verwies auf die DGB-Forderung nach einem Mindestlohn von 7,50 Euro: «Wir wissen aus Westeuropa, dass es funktioniert.»

Bei der Aussprache im Bundestag stellte SPD-Fraktionschef Peter Struck klar, dass er keinen Spielraum für eine stärkere Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sehe. Erst im Frühjahr könne darüber geredet werden, wenn die weitere Finanzentwicklung bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) absehbar sei.

BA-Überschuss für Ausbildungsplätze

DGB-Chef Sommer erneuerte seine Forderung, einen Teil des BA-Überschusses für ein Ausbildungsprogramm einzusetzen. 50.000 Jugendlichen, die seit langem eine Lehrstelle suchten, solle eine überbetriebliche Ausbildung ermöglicht werden. «Das kostet 650 Millionen Euro», rechnete Sommer vor.

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Kornelia Möller, nannte den Vorschlag des Sachverständigenrates «menschenverachtend». Damit solle nur der Druck auf Arbeitslose erhöht und Unternehmen weiter entlastet werden, kritisierte.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte, dem vagen Versprechen der Professoren von 350.000 zusätzlichen Jobs stünde «die sichere Verarmung von Millionen von Arbeitslosen und ihren Kindern gegenüber». (nz)

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