Von der Leyen drückt bei dem umstrittenen Vorhaben aufs Tempo – „Bildungspaket“ umfasst Mittagessen und Nachhilfe
Berlin – Trotz des Widerstands aus Teilen der Union sowie der Opposition treibt Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Entwicklung einer Bildungs-Chipkarte für Hartz-IV-Kinder mit Hochdruck voran. Im Laufe des kommenden Jahres sollen die Karten für die rund zwei Millionen bedürftigen Jungen und Mädchen schrittweise in ganz Deutschland eingeführt werden. Bis zur vollständigen Implementierung des neuen Systems sollen die Kosten für Bildungsausgaben für Hartz-IV-Kinder ab Jahresbeginn den Eltern erstattet werden.
Das „Bildungspaket“, das künftig über die Karte abgerufen werden kann, reicht nach von der Leyens Plänen von Essenszuschüssen über Sportangebote bis hin zu Schulmaterial und Nachhilfe.
Von der Leyen verteidigte gestern nach einem Gespräch mit Fachleuten in Berlin die Bildungskarte gegen Kritik. Mit zusätzlichem Geld sei den betroffenen Familien nicht zu helfen, sagte sie. Dagegen werde mit dem geplanten neuen Kartensystem dafür gesorgt, dass die Leistung auch tatsächlich bei den Kindern ankomme. Die Karte sei unkompliziert und unbürokratisch. Viele sozial schwache Familien seien froh, wenn ihnen Hilfe angeboten werde, meinte die Ministerin. Unionspolitiker hatten den Ansatz, einen Teil der Hartz-IV-Leistung für Kinder künftig als Sachleistung, statt wie bisher als Geldleistung zu gewähren, als entwürdigend und bürokratisch bezeichnet.
Das Bundesverfassungsgericht hatte Anfang des Jahres die derzeitigen Hartz-IV-Sätze für Kinder als grundgesetzwidrig verworfen und eine Änderung bis zum Jahreswechsel verlangt. Bislang erhalten Minderjährige je nach Alter einen Satz von 60 bis 80 Prozent des Regelsatzes für Erwachsene. Der besondere Bildungsbedarf der Kinder sei somit nicht berücksichtigt, hatte das höchste Gericht moniert. Die Minderjährigen seien zudem „keine kleinen Erwachsenen“.
Von der Leyen nannte erneut keine konkreten Zahlen für die Neuregelung der Hartz-IV-Sätze. Die Berechnungen seien noch nicht abgeschlossen. Allerdings sind im Haushalt für 2011 vorsorglich für das neue „Bildungspaket“, das jedes Kind zusätzlich bekommen soll, 480 Millionen Euro vorgesehen. Bei gut zwei Millionen berechtigten Kindern entspricht dies einem Durchschnittswert von knapp 240 Euro pro Jahr.
Von der Leyens Konzept ist schon weit gediehen. So soll die Familie für jedes Kind ein „Basisgeld“ erhalten, dessen Höhe derzeit auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstatistik berechnet wird. Zusätzlich gibt es dann das „Bildungspaket“. Dieses ist abrufbar über die neue Karte und stellt eine neue und zusätzliche Leistung dar. Sie wird nicht für jedes Kind gleich hoch sein, sondern soll sich nach dem individuellen Bedarf richten und von den Jobcentern als Budget auf die Karte geladen werden. So sollen Kinder, die in einer Kita und Schule ganztags betreut werden, einen Essenszuschuss erhalten, der mit der Karte abrufbar ist. Auch die Kosten für Nachhilfe oder die Beiträge für Sportvereine oder den Besuch einer Musikschule sollen im Bedarfsfall auf diesem Wege finanziert werden.
Die CDU-Ministerin will die Bildungskarte langfristig nicht auf Hartz-IV-Familien beschränken. Auch Familien mit kleinen Einkommen sollen in das System eingebunden werden. Hier setzt das Ministerium auf die Zusammenarbeit mit den Ländern, mit Stiftungen und der Wirtschaft. Vor allem die CSU sieht die Pläne allerdings skeptisch. Anders als die CDU-Politikerin will die bayerische Schwesterpartei es den Eltern freistellen, ob sie Sach- oder Geldleistungen in Anspruch nehmen. Auch die Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion hält von der Leyens Pläne für diskriminierend.
Nach Plänen des Arbeitsministeriums soll am 20. Oktober das Kabinett über das Vorhaben entscheiden. Zuvor stehen Gespräche mit Ländern und Kommunen an. Am Freitag kommt von der Leyen mit den Arbeits-, Sozial- und Kultusministern der Länder sowie den kommunalen Spitzenverbänden zusammen, um über das neue Konzept zu beraten. Am kommenden Montag sind Gespräche mit den Sozial- und Wohlfahrtsverbänden vorgesehen. (von Dorothea Siems, welt-online, 17. August 2010)