Hartz IV Kompromiss verfassungswidrig?
Sozialverbände, Linke und Grüne kritisieren den ausgehandelten Hartz IV Kompromiss als verfassungswidrig
Die Verhandlungen zwischen SPD und Bundesregierung endeten gestern Nacht mit dem Ergebnis, dass die Hartz-IV Regelleistungen um wie geplant fünf Euro in diesem Jahr ansteigen. Im zweiten Schritt sollen die Regelsätze noch einmal um 3 Euro ab Jahresbeginn 2012 angehoben werden. Die Grünen hatten wohl weißlich die Verhandlungen im Vorfeld abgebrochen und sind ausgestiegen. Die Linke wurde erst gar nicht zu dem Treffen der Verhandlungsgruppe eingeladen, so dass der Kompromiss nur zwischen Union, FDP und SPD ausgehandelt wurde. Sozialverbände, Wissenschaftler und Opposition kritisierten das Ergebnis als “Kuhhandel und Verfassungswidrig”.
Sozialverband: „Hartz IV Kompromiss erbärmlich“
Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte die Verhandlungen zur sogenannten Hartz IV Reform im Bundesrat als „erbärmlich“. So sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider am Montag: “Das Geschacher der letzten Wochen und Tage um drei Euro mehr oder weniger ist die erbärmlichste Farce, die die deutsche Sozialpolitik je erlebt hat.“ Die nun ausgehandelten ALG II Regelsätze sind weder bedarfsgerecht noch entsprechen sie der bundesdeutschen Verfassung. Schneider forderte die SPD auf, das Ergebnis der Verhandlungen nach der Zustimmung im Bundesrat durch eine Normenkontroll-Klage vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Der Sozialverband geht davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht mit Sicherheit zu einer anderen Auffassung gelangt, als die Verhandlungsführer der Parteien.
Auch die einzeln erzielten Fortschritte beim geplanten Bildungspaket für Kinder können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Politik Millionen von Hartz IV Betroffenen im Regen stehen hat lassen, erklärte der Verbandschef. Denn das Ergebnis ist ein „Schlag ins Gesicht der Betroffenen und ein Affront gegenüber dem Bundesverfassungsgericht.“
SPD, Union und FDP verständigten sich in der Nacht von Sonntag auf Montag nach fast zwei Monaten auf eine minimale Anhebung der Regelleistungen für Erwachsene. Die Grünen hatten die Verhandlungen im Vorfeld verlassen, da sie ebenfalls Zweifel daran hegten, dass der sich anbahnende Kompromiss nicht der deutschen Verfassung entspricht.
Neben der stufenweisen Erhöhung und der rückwirkenden Auszahlung der Fünf-Euro-Erhöhung sollen die Regelleistungen nun 364 Euro je erwachsenen ALG II Bezieher betragen. Die nochmalige Erhöhung um drei Euro soll zum 1.Januar 2012 erfolgen. Der Regelsatz beträgt dann 367 Euro. Diese Erhöhung soll abgekoppelt von den regulären Anpassungen sein. Kinder und Jugendliche sollen zudem Zuschüsse für Nachhilfe und Schulessen erhalten. Für die Zeitarbeiter soll es einen Mindestlohn geben.
Linke: SPD gibt statistischen Fälschungen der Bundesregierung nach
Die Bundesregierung beteuert, dass die Regelleistungen „transparent und verfassungskonform“ sind. Die Parteivorsitzenden der Linken kritisierten heute: „Alle Hartz-IV-Parteien haben sich mit den statistischen Fälschungen der Arbeitsministerin abgefunden und die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ignoriert. Die willkürliche Veränderung der Berechnungsgrundlagen, um den Sparvorgaben des Finanzministers gerecht zu werden, ist verfassungswidrig. Es ist ein Skandal, dass die Hartz-IV-Parteien acht Wochen verhandeln mussten, um eine Erhöhung des Regelsatzes um insgesamt 8 Euro zu erreichen. Die gleichen Parteien haben nur eine Woche gebraucht, um mit 480 Milliarden Euro die Banken zu retten.“ Die Partei kündigte an, die Neuregelungen im Bundestag abzulehnen und alle juristischen Möglichkeiten zu nutzen, um „dem im Grundgesetz verankerten Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum Geltung zu verschaffen“. Der Redaktion „gegen-hartz.de“ liegen mittlerweile 10 Klageerhebungen von Betroffenen vor.
Wissenschaftler bezeichnet Ergebnis als “Kuhhandel”
Der Kölner Wissenschaftler und Armutsexperte Prof. Christoph Butterwegge bezeichnet den ausgehandelten Kompromiss als “Kuhhandel”. Eigentlich müsste sich das oberste Verfassungsgericht zum Narren gehalten fühlen, denn das Urteil vom Februar 2010 wurde von der Politik nicht ernst genommen, so Butterwegge. “Der Regelsatz sollte bedarfsgerecht, transparent und nachvollziehbar sein. Das ist nicht der Fall“, sagte der Wissenschaftler. (sb, 21.02.2011, gegen-hartz.de)