30 Jahre FALZ

Bild aus FR Artikel zeigt eine Falz Aktion

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Irgendwie ist es mit ihnen wie mit den Rolling Stones. So wenig wie Mick Jagger oder Keith Richards je daran dachten, dass die Stones mal ihren 5Osten feiern und lange Musikgeschichte schreiben würden, wäre es Anna  Veit vor 30 Jahren eingefallen, dass das Frankfurter Arbeitslosenzentrum (FALZ) zu ihrem Lebensprojekt und zum Ankerpunkt im sozialen Netz der Stadtwerden würde. Ein bisschen überwältigt von der eigenen Zeitreise, hat sie vor der Jubiläumsfeier am Freitag Kisten alter Fotos durchstöbert, Wände voller Beratungsakten gesichtet und zwei Meter Gesetzestexte“. Anna Veit breitet die Arme aus. ,,Das sind 30 Jahre Umbruch.“

40 Leute fingen damit an

Dabei begann alles so unkonventionell wie bei den alten Schulkameraden Mick und Keith, die sich anno 1961 zufällig über den Weg laufen und feststellen, dass sie beide, statt zu studieren, lieber Musik machen wollen wie niemand bisher. In Frankfurt anno 1982 sind es einige Gewerkschafter, die der Flut arbeitsloser pädagogen, ausgebremst vom Einstellungsstopp für Lehrer und der allgemein grassierenden Arbeitslosigkeit, nicht untätig zusehen wollen. Im März jenes Jahres versammeln sie Arbeitslose zur Debatte über Ursachen von Arbeitslosigkeit und deren Folgen wie Stigmatisierung, Sucht, Depression, Isolation. Die Lawine rollt. Erwerbslosengruppen formieren und vernetzen sich. Es geht um Informationen, Austausch, Selbsthilfe, wo Arbeitsmarktpolitik und Arbeitslosenhilfe versagen – und: um Aktion. ,, Politik in der ersten person., lautet der Slogan. 40 Leute gründen noch im selben Frühjahr das Frankfurter Arbeitslosenzentrum als Verein, Ende des Jahres folgt der erste bundesdeutsche Arbeitslosenkongress in Frankfurt. Mehr als zwei Millionen Menschen sind zu jener Zeit ohne Job – Topthema für die Medien. Das FALZ, anfangs als offener Treff bei der evangelischen Dreifaltigkeitsgemeinde untergeschlüpft, zieht immer mehr Menschen an: ins Café Jottwede, zu Aktionsgruppen, die Debatten, aber auch Sport, Theater und Literatur bieten. Anna Veit stößt im November 1982 zum FALZ und kann als arbeitslose Sozialarbeiterin mit der Mitbegründerin Betsy Vey aufbauen, wonach alle lechzen: professionelle Beratung und praktische Hilfe bei Problemen mit Amtern oder in schwierigen Lebenssituationen.

Wie die Rolling Stones ist auch das FALZ laut. Und politisch: Die Mitstreiter knüpfen ein bundesweites Netzwerk mit anderen Erwerbslosen-Initiativen, diskutieren Alternativen zur sozialen Sicherung, fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle.

Dabei sind sie kreativ. Anna Veit zieht Fotos aus dem Stapel: von der Schuhputzaktion an der Hauptwache nach dem Motto: ,,Wer fleißig ist, bringt´s zu was“; von den legendären Montagsdemos; von Plakatwänden zur Flickspendenaffäre (,,Bei uns wären Spenden richtig“); von internationalen Euro-Märschen (,“Arbeitslose aller Länder vereinigt euch‘); von der Besetzung des Sozialdezernats, als die Stadt 1994 zum Kahlschlag bei sozialen Initiativen bläst.

DAS ZENTRUM
FALZ, das Frankfurter Arbeitslosenzentrum, wurde im Frühjahr 1982 von 40 Arbeitslosen gegründet, die sich nicht tatenlos mit ihrem Schicksal und der gängigen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik abfinden wollen.

Das Zentrum zählt zu den wenigen Initiativen, die ihren Ansatz bis heute durchgehalten haben, im Netzwerk mit anderen Initiativen Alternativen zu diskutieren, sich öffentlich politisch einzumischen und zugleich Betroffene in ihrer persönlichen Situation professionell zu beraten. Das FAIZ ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband und seit 1999 anerkannte Schuldnerberatungsstelle im Angebot der Stadt. Es hat seinen Sitz in der FriedbergerAnlage 24, Tel. 700 425, www.falz.org

Beim Fest zum 3O-jährigen Bestehen am Freitag, 17. August, ab 17 Uhr im Bürgerhaus Gutleut wird unter anderen Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld die Arbeit des FAIZ würdigen.

Trotz der ,,Prügel“ wächst doch auch die Wertschätzung  der Stadt. Das umfassende Beratungsangebot, das  Anna Veit und Ihre langjährigen Mitstreitern Harald Rein, Rolf Küpfer und Lisa Dietz im vertraulichen, sehr persönlichen Rahmen und nah an den Bedürfnissen der Menschen bieten, ist zu einem zentralen Knotenpunkt im sozialen Netzwerk der ganzen Region geworden. Alle Fragen zu Existenzsicherung, Hartz IV, Sozialversicherung, Wohngeld bis zur Schuldnerberatung und kostenlosem Rechtsbeistand sind im FALZ zu haben, inzwischen angesiedelt in der Friedberger Anlage 24. Sie Stadt honoriert es schon 1983 mit zwei ABM-Stellen, die sich vier hauptamtliche über Jahre im Rotationsprinzip teilen. ,,Ihr seid ein Stück sozialer Frieden“, kriegt sie öfter zu hören, sagt Anna Veit. Dennoch reicht der städtische Zuschuss bis heute nicht für vier volle Stellen. Das fehlende Geld muss das Team über Spenden und Bußgeldzuweisungen zusammenkratzen. Obwohl die Nachfrage ständig steigt – rasant sogar seit Hartz IV.  ,,In den sechs Jahren seit der Einführung sind die Folgen immer krasser zu spüren“, sagt Veit deutliche Zunahme der Leiharbeit, Minijobs, befristeter oder prekärer Beschäftigungen, immer mehr Niedriglöhner in Vollzeitjobs und überschuldete Familien. Mehr als 85000 Frankfurter sind laut Stadt auf Hartz M Sozialgeld oder Grundsicherung angewiesen. Neuerungen wie das Bildungspaket oder der Kinderzuschlag machten den Formalitäten-Wust noch komplizierter: ,,Betroffene müssen zweimal im Jahr Anträge dafür stellen. Und die durchblicken viele so wenig wie ihre Arbeitslosengeld-Il-Bescheide.“ So schickten längst auch Arbeitsagentur oder Sozialgerichte Antragsteller erst mal dankbar ins FALZ.  Ein ,,rolling stone“ setzt kein Moos an, besagt ein englisches Sprichwort.  ,,Wir wollten immer etwas bewegen“, sagt Anna Veit- das FALZ bleibt in Bewegung.

Von Anita Strecker, FR 16.08.2012

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