Wann ist ein Paar ein Paar

Nach einem Artikel von Rolf Winkel in der Süddeutschen Zeitung ( 23.11.2005)

Solo, verheiratet, in eheähnlicher Gemeinschaft? Beim Arbeitslosengeld II kann sich der richtige Familienstand auszahlen. Wie weit die Arbeitsagenturen gehen dürfen, um die Angaben eines Antragstellers zu überprüfen.

Ein nackter Mann, der sich auf den Balkon einer Liebhaberin flüchtet. Zwei Kuhlen im Doppelbett eines Singles. Herrenhemden im Kleiderschrank einer allein lebenden Dame. All das interessiert seit eh und je manche Privatdetektive, neuerdings jedoch auch die Politik: Es geht um eheähnliche Gemeinschaften und die Erschleichung von Sozialleistungen.

Warum wollen die Ämter es wissen, wenn jemand in Gemeinschaft lebt?

Dann können sie unter Umständen Sozialleistungen einsparen, vor allem geht es dabei um das ALG II und die Sozialhilfe. Die Sozialgesetze regeln ausdrücklich, dass Partner ohne Trauschein keine Vorteile gegenüber verheirateten Paaren haben dürfen.
Was bedeutet das konkret?

Zwei Partner, die eheähnlich zusammenleben, gelten genau wie Ehepaare als eine so genannte Bedarfsgemeinschaft. Prüft das Amt, ob ein Anspruch auf Alg II besteht, rechnet es Einnahmen, Ausgaben und Vermögenswerte der Partner zusammen. Das kann zur Folge haben, dass einer der Partner selbst dann keine Leistungen erhält, wenn er keinerlei Einkünfte hat. Das ist der Fall, wenn der andere Partner so viel verdient oder ein Vermögen hat, dass nach den gesetzlichen Regeln beide davon leben können.
Wann gilt eine Gemeinschaft als eheähnlich?

Das steht in keinem Gesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Grundsatzurteil vom 17. November 1992 (Az.: 1 BvL 8/87) ausgeführt, dass sehr enge Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Frau und ein Mann, die nicht miteinander verheiratet sind, füreinander in die Pflicht genommen werden können. Das sei nur möglich, ¸¸wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlten, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse verwenden”.
Wie kann man feststellen, ob eine derart enge Partnerschaft vorliegt?

Hierzu haben die Karlsruher Richter einige Hinweistatsachen aufgeführt. Ausschlaggebend sind beispielsweise “die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen”. Konkret: Lebt ein Paar noch keine drei Jahre zusammen, hat es keine gemeinsamen Kinder und auch kein gemeinsames Konto, gilt es in der Regel nicht als eheähnliche Lebensgemeinschaft.
Ist es wichtig, ob eine sexuelle Beziehung vorliegt?

Nein, wie das Bundesverfassungsgericht bereits 1992 klarstellte. Danach setzt eine eheähnliche Gemeinschaft “nicht voraus, dass zwischen den Partnern geschlechtliche Beziehungen bestehen”. Weiter heißt es: “Wenn es Arbeitsämter an dem gebotenen Respekt vor der Intimsphäre der Partner eheähnlicher Gemeinschaften fehlen lassen sollten, obliegt es den Fachgerichten, hiergegen Rechtsschutz zu gewähren.”

Kommt es darauf an, ob Kühl- oder Kleiderschrank gemeinsam genutzt werden?

Auch das ist nicht von Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht bestimmt, dass nur dann eine eheähnliche Gemeinschaft gegeben ist, wenn die Partner für einander einstehen wollen, also ihre Beziehung über eine “reine

Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht”.

Doch nach wie vor forschen Ämter nach einer zweiten Zahnbürste oder dem Herrenhemd im Schrank einer allein stehenden Dame…

Wahrscheinlich wird diese Suche nach dem jüngsten (Intim-)Report aus dem Bundeswirtschaftsministerium noch zunehmen. Findet das Amt etwas, ist dies aber rechtlich kaum verwertbar. Erst am 22. April dieses Jahres hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt geurteilt, es sei äußerst fraglich, “ob bei einem Hausbesuch entscheidungserhebliche Tatsachen gefunden werden können, weil die Intimsphäre zur Feststellung einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht ausgeforscht werden darf”.

Dürfen Bezieher von Alg II einen Hausbesuch ablehnen?

Ja, es steht ihnen hierbei das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung zur Seite. Bleibt die Türe verschlossen, darf das Amt dies nicht als “Geständnis” für das Bestehen einer unehelichen Lebensgemeinschaft werten, entschied das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt. Der Sprecher der Bundesagentur für Arbeit sagt: “Die Privatwohnung der Leistungsbezieher ist im Prinzip tabu, es sei denn, der Hilfeempfänger lässt den Besucher vom Amt freiwillig herein.” Jedoch meint eine Mehrheit von Juristen, dass Alg-II-Bezieher einen angemeldeten Besuch vom Amt tolerieren müssen, da sie eine Mitwirkungspflicht an den Ermittlungen des Amts trifft.
Wer trägt die Beweislast, ob eine eheähnliche Partnerschaft vorliegt?

Die höheren Gerichte, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, sehen die Behörden in der Beweispflicht. So urteilte das Oberverwaltungsgericht Schleswig am 2. Januar 2002, dass die Beweislast nicht dem Sozialhilfeempfänger aufgebürdet werden darf – auch wenn es den Ämtern schwer fällt, das Vorhandensein einer eheähnlichen Gemeinschaft nachzuweisen. Dies aber sei die “konsequente Folge der durch die angeführte höchstrichterliche Rechtsprechung ausgedeuteten Rechtslage”, so das Oberverwaltungsgericht Schleswig. Es verweist damit auf die oben ausgeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dennoch könnte sich die Rechtslage bald ändern. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist vorgesehen, die Beweislast umzukehren, wenn dies rechtlich möglich ist. Dann müssten die Paare beweisen, dass sie keine eheähnliche Gemeinschaft bilden.
Hat es Folgen für Ansprüche auf ALG II, wenn ein Leistungsbezieher in einer Wohngemeinschaft lebt?

Ja, aber nur für die Höhe der Wohnkosten, welche die Ämter übernehmen. Wenn zwei Menschen nicht in einer eheähnlichen, sondern einer Wohngemeinschaft zusammenleben, gehen die Ämter davon aus, dass sie Wohn- und Heizkosten teilen. Wer einen Mitbewohner verschweigt, setzt sich dem Verdacht aus, dass er bei den Unterkunftskosten schwindelt. Möglicherweise liegt sogar ein strafbarer Betrug vor.

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