quer-Artikel (9.05): Eheähnliche Gemeinschaft

Was ist – genau genommen – eigentlich unter einer eheähnlichen Gemeinschaft zu verstehen? Beim Alg II-Antrag wird jede/r meist ohne weitere Erklärung des Amtes gefragt, ob sie/er Teil einer solchen sei. ute kallenbach erklärt, was Erwerbslose und deren Partner vor Beantragung des Alg II über die juristische Bedeutung der Vokabel „eheähnliche Gemeinschaft” wis­sen sollten.
Ich habe mich gefragt: Warum heiraten viele Paare eigentlich nicht, wenn sie von mir danach gefragt – sagen, in .eheähnlicher Gemeinschaft zu leben? Bedenken die Menschen zu wenig ihr ei­genes Leben – und besonders die recht­lichen Konsequenzen ihrer Entscheidun­gen für oder gegen eine Beziehung? Eine kleine Umfrage in meinem Bekannten­kreis ergab dazu:

Weil wir uns noch nicht lange genug kennen …

Weil ich mich noch nicht binden will, ich will frei sein!

Ich habe schon ‘mal etwas von Versor­gungsausgleich beim Rentensvstem gehört und will meine Rentenansprüche nicht abtreten … Es gibt keine Witwenrente mehr! Ich will nicht per Gesetz zum Unterhalt für jemand verpflichtet werden, der selbst in der Lage ist sich zu unterhalten.

Scheidungen sind teuer …

Ich will nicht abhängig sein …

Ich kann nicht treu sein, das aber wird in

der Ehe von mir verlangt …

Die Befragten waren keine Alg II-Em-pfänger. Für sie bleibt es folgenlos, wenn sie sich trotz des Wunsches nach Eigen­ständigkeit als ,eheähnlich’ bezeichnen. Aber wer mit Alg II in Kontakt kommt, sollte vor Antragstellung seine Gründe nicht zu heiraten mit der juristischen De­finition zur eheähnlichen Gemeinschaft vergleichen und sich gegebenenfalls ge­gen die Behandlung als Eheähnliche’ durch das Amt wehren.

Was heißt eigentlich „Ehe”?

Einige Betroffene haben inzwischen gegen ein solches Vorgehen der Alg II-Behörden geklagt und Recht bekommen. Die verschiedenen Urteile knüpfen bei der juristischen Definition einer eheähn­lichen Lebensgemeinschaft an den Be­griff der Ehe und die damit verbundenen Verpflichtungen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) an.

weinreich und klein definieren im Familienrecht Kompaktkommentar von

2005 die eheähnliche Gemeinschaft wie folgt:

„ … dass es sich um eine heterosexu­elle Beziehung handeln muss, die auf un­bestimmte Dauer angelegt ist, sich durch innere Bindungen der Partner zueinander auszeichnet und neben sich keine weite­ren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt.”

Außerdem muss die Bindung der Part­ner so eng sein, dass sie sich gegenseitig in Not- und Wechselfällen des Lebens un­terstützen bzw. für einander Einstehen und Verantwortung übernehmen. Dabei bestreiten die Partner zunächst ihren ge­meinsamen Lebensunterhalt, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befrie­digung eigener Bedürfnisse verwenden (in Urteilen von Sozialgerichten ist auch der Begriffe einer „Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft” zu finden).

Der Gesetzestext des BGB über die Ehe legt Wert auf zwei zentrale Elemen­te. Das personale Element (§ 1353 Abs. l Satz 2 BGB) und das materielle Element (§ 1360 BGB). Demnach sind die Ehegat­ten zur ehelichen Gemeinschaft und zum gegenseitigen Unterhalt verpflichtet. Sie haben füreinander Verantwortung zu tra­gen.

Nur wenn beide Elemente bei einer Partnerschaft ohne Trauschein tatsächlich vorhanden sind, kann juristisch von einer Gleichstellung von Partnern einer Ge­meinschaft und Ehepartnern ausgegangen werden. Vor allem dem materiellen Ele­ment kommt dabei große Bedeutung zu. Die Partner müssen sich gegenseitige quasi-unterhaltsrechtliche Fürsorge- und Lebensunterhaltssicherungsansprüche eingeräumt haben (diese bleiben dabei je­doch nicht verbindlich einklagbar).

Ob diese Elemente in der Gemein­schaft zwischen Mann und Frau vorhan­den sind, muss im Zweifelsfall anhand von Indizien festgestellt werden. Zum Beispiel werden die Versorgung gemein­samer Kinder oder anderer Angehöriger im Haushalt, die Befugnis über das Ein­kommen oder das Vermögen des Partners zu verfügen (Kontovollmacht) und die Dauer und Intensität der Bekanntschaft

im allgemeinen und vor der Begründung der Wohngemeinschaft als Indizien erfasst. Stichhaltige Hinweise müssen vor­liegen, um zu beweisen, das die Partner­schaft so eng ist, dass erwartet werden darf, dass sich die Partner in Notsituatio­nen gegenseitig unterstützen. Wichtig ist dabei das Gesamtbild und nicht einzelne Gesichtspunkte. Von einer eheähnlichen Gemeinschaft kann nur bei Einverneh­men zwischen beiden Partner ausgegan­gen werden.

Aktuelle Rechtsprechung

Stellt die ARGE eine eheähnliche Ge­meinschaft fest, ohne dass das Element der tatsächlichen materiellen Unterstüt­zung vorliegt, werden die vermögens-und einkommenslosen Partner dieser Ge­meinschaft völlig rechtlos gestellt. Sie ha­ben keinen Anspruch gegen die Behörde und keinen Anspruch gegen den ver­meintlichen Partner (s.a. Sozialgericht Dresden, Beschluss vom 18.05.2005 -Az.: S 23 AS 175/05 ER – mit weiteren Verweisen auf Beschlüsse des SG Düs­seldorf vom 18.04.2005, Az: S 35 AS 107/05 ER; vom 22.04.2005, Az: S 35 AS 119/05 ER). Aus diesem Grund wird der Stellungnahme der Partner zur Frage des Bestehens einer „eheähnlichen Lebensge­meinschaft” entscheidende Bedeutung zugesprochen.

„Eine eheähnliche Gemeinschaft kann daher nur angenommen werden, wenn die Partner ausdrücklich bestätigen (fi­nanziell) – auch in Zukunft – für einander einstehen zu wollen, denn nur dann ist das Kriterium der Eheähnlichkeit’, das in Anlehnung an § 1360 BGB ein gegen­seitiges , Unterhalten ‘ fordert, erfüllt. ” (SG Dresden, Beschluss vom 14.06.05, Az.: S 23 AS 332/05 ER)

Die Beweise, ob eine eheähnliche Ge­meinschaft vorliegt, hat der Sozialhilfe­träger zu erbringen. Eine häufig ange­wandte Form der Ermittlung ist der Haus­besuch. Dieser wird in der Recht­sprechung jedoch als ungeeignet angese­hen, Zitat:

„Es ist im Übrigen Fraglich, ob bei einem Hausbesuch entscheidndserhebliche Tatsachen gefunden werden können, weil die Intimsphäre zur Feststellung ei­ner eheähnlichen Gemeinschaft nicht ausgeforscht werden darf; insbesondere sind geschlechtliche Beziehungen für die eheähnliche Gemeinschaft nicht maßgeb­lich und dürfen auch nicht ermittelt wer­den (BVerfG, Urteil vom 17. November 1992, l BvL 8/87; Beschluss vom 16. De­zember 1958 – l BvL 3/57, 4/57 und 8/58

– SozR Nr. 42 zu Art. 3 GG = BVerfGE 9s. 20 ).”(Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.04.05)

SG Dresden: Keine Feststellung eheähnlicher Gemeinschaft nach Rosinenpickmethode!

Am 14.06.2005 hat das Sozialgericht Dresden unter dem Aktenzeichen S 23 AS 332/05 ER eine Grundsatzentschei­dung zur eheähnlichen Gemeinschaft ge­fällt. Ein Beschluss im Umfang von 16 eng beschriebenen Seiten im Eilverfahren lässt vermuten, dass der Richter sehr gründlich gearbeitet hat. Der Antragsgeg­ner (die ARGE XY) musste sich seitens des Gerichtes einige Kritik gefallen las­sen. Einige Fakten aus diesem Fall möch­te ich zur Veranschaulichung der jurischen Definition der eheähnlichen Ge­meinschaft darstellen. Ich habe bei der Darstellung der Zeit- und Geldwerte Run­dungen vorgenommen, da eine exakte Angabe für das Verstehen des Sachver­halts nicht wichtig ist. Außerdem haben die Beteiligten geänderte Kürzel erhalten.

Frau X ist schwanger (Geburtstermin August 2005) und lebt mit ihrem vierjäh­rigem Sohn seit November 2004 im Ein­familienhaus des Herrn Y. Frau X bezog zuletzt (bis Ende 2004) Arbeitslosenhilfe, erhielt Lohn aus einer geringfügigen Be­schäftigung, der sie bis Januar nachging, und Unterhalt sowie Kindergeld für ihren Sohn.

Herr Y ist Justiz Vollzugsbeamter und erzielt ein Einkommen von ca. 1.700 Euro monatlich. Er ist ledig, kinderlos und Vater des Kindes, welches Frau X erwar­tet.

Eine schriftlich vereinbarte Mietbetei­ligung (Höhe 250 Euro monatlich) zwi­schen Frau X und Herrn Y regelt den fi­nanziellen Rahmen des Zusammenwohnens.

Sie beantragte Alg II und gab an in eheähnlicher Gemeinschaft zu leben.

Der Antrag wurde abgelehnt. Begrün­dung: sie sei nicht hilfebedürftig, da Herr Y über ein Einkommen verfüge, welches den Hilfebedarf mit abdecke.

Dagegen legte Frau X Widerspruch ein. Begründung: Sie werde von Herrn Y nicht unterstützt und habe ihm gegenüber keinen einklagbaren Unterhaltsanspruch. Ohne Einkommen sei ihre Krankenver­sorgung und die ihres Sohnes nicht mehr gewährleistet.

Der Widerspruch wurde von der Be­hörde als unbegründet abgelehnt. Be­gründung: Sie habe im Antrag das Vorlie­gen einer eheähnlichen Gemeinschaft an­gegeben und Auskunft über die Einkom­mens- und Vermögensverhältnisse des Herrn Y erteilt.

Daraufhin erhob Frau X Klage beim Sozialgericht Dresden.

Das Fehlen der Bereitschaft den ge­meinsamen Lebensunterhalt zu sichern, wertete das Gericht als ein Indiz für das Nichtbestehen einer eheähnlichen Ge­meinschaft. Die Angaben der Antrag­stellerin, mit Herrn Y liiert zu sein und seine Aussage, sie seien ein Paar, konnten das Gericht nicht bestärken von einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen, da Herr Y sich auf eine relativ kurze Zeit des Kennens bezog und nicht von einer engen Bindung ausging. Somit will er nicht für sie aufkommen und das Thema

Heirat steht nicht zur Diskussion. Auch das Zusammenleben unter einer Meldan­schrift ist kein Indiz für das Bestehen ei­ner eheähnlichen Gemeinschaft. Die Nut­zung der gesamten Wohnfläche und der Wohnungseinrichtung durch Frau X und Herrn Y wird als typisch auch für Wohn­gemeinschaften gewertet. Isoliert be­trachtet, ist es nicht ausreichend für die Feststellung einer Verantwortungsge­meinschaft. Auch das siebenmonatige Zu­sammenwohnen ist kein Indiz hierfür, da nach der bisherigen Rechtssprechung von mindestens drei Jahren des Zusammen­lebens ausgegangen wird.

Das heißt: Allein, dass Frau X Herrn Y in ihrem Antrag auf Leistungen nach dem SGB II als Partner in eheähnlicher Ge­meinschaft bezeichnet, ist kein Grund für das Vorliegen einer solchen, da in Zwei­fel zu ziehen ist, ob sie sich der juristi­schen Tragweite dieser Erklärung bewusst war (so das SG Dresden in o.g. Beschluss mit Verweis auf andere Gerichte).

Die folgenden Tatsachen zeigen ein fehlendes personales Element. Weder die Freundschaft/Bekanntschaft noch die Zeit des Zusammenwohnens (7 Monate) sind von hinreichender Dauer, um von einer eheähnlichen Gemeinschaft ausgehen zu können. Außerdem beruht das Zusam­menwohnen auf der Grundlage einer schriftlichen Mietbeteiligungserklärung. Dies ist für eine Ehe unüblich. Frau X und Herr Y haben derzeit weder gemeinsame Kinder, noch beteiligt sich Herr Y an der Erziehung, Betreuung und Pflege des Sohnes von Frau X. Die Schwangerschaft kann auf das Vorliegen einer ehe­ähnlichen Gemeinschaft hindeuten. Die Äußerung, dass es sich nicht um ein Wunschkind handelt, sondern eher ein ,Unfall’ war, entkräftet das Vorliegen ei­ner eheähnlichen Gemeinschaft.

Die Antragsgegnerin (das heißt die Alg II-Behörde) behauptet im Gerichts­verfahren auf Grund „des gleichberech­tigten Zusammenwohnens, des Zusam­menzuges, der gemeinsamen Nutzung der Wohnungseinrichtung und des Erwartens des gemeinsamen Kindes …”, dass ein personales Element vorliege. Das Gericht wirft der Behörde vor „nicht die gebote­ne, erforderliche und angemessene um­fassende Gesamtwürdigung sämtlicher Einzelfallumstände” vorzunehmen, son­dern, dass sie sich „analog einer ,Rosinentheorie’ lediglich die Einzelaspekte , her „ rauspickt”, die ihrer Ansicht nach das Ergebnis in einem für sie günstigen Eicht erscheinen lassen.”

(SG DD, o.g. Beschluss)

Bei der gerichtlichen Betrachtung der Frage, ob ein tatsächliches materielles Element vorhanden sei, muss sich die Be­hörde diese Kritik erneut anhören. Hierzu wurde ermittelt, dass die Antragstellerin und Herr Y ihre jeweils eigenen Woh­nungseinrichtungsgegenstände in das Haus des Herrn Y eingebracht haben, dass gemeinsam ein Fernseher ange­schafft worden ist und dass seit März 2005 ein gemeinsames Konto besteht. Dies seien eindeutige Kriterien im Sinne einer gegenseitigen Einstehensgemeinschaft in den Not- und Wechselfällen des Lebens, so die Behörde. Doch auch hier fehlte deren Gesamtwürdigung sämtlicher Einzelfallumstände. Zum gemeinsamen Konto kam es nur durch den Ein­kommensverlust der Antragstellerin. Sie konnte die Kontoführungsgebühren nicht mehr aufbringen und nutzte deshalb das Konto von Herrn Y mit. Dieser räumte ihr keine Verfügungsgewalt über sein Ein­kommen ein. Es bestanden keine ge­meinsame Haushaltskasse, keine gemein­samen Vermögenswerte und keine ge­meinsamen Versicherungen. Jeder zahlte seine eigenen Rechnungen und befriedig­te mit seinem eigenen Geld seine Bedürf­nisse. Das Gericht sieht kein materielles Element. Frau X sollte auf Unterhalts­zahlungen von Herrn Y verwiesen wer­den, für die es jedoch keine Rechtsgrund­lage gibt. Sie kann diese Zahlungen von Herrn Y nicht verlangen und nicht ein­klagen. Mit Hinweis auf die Duldung der nicht gezahlten vereinbarten Miete be­gründet der Sozialleistungsträger die Un­terstützung der Frau X durch Herrn Y. Das Gericht wertet dies jedoch als Mut­maßung und betont mit Verweis auf das Bundesverfassungsgericht, dass existenzsichernde Leistungen nicht in Folge bloßer Mutmaßungen verweigert werden dürfen (BVerfG, Beschluss vom 15.05.2005, Az: l BvR 569/05).

Abschließend kam das Gericht zu der Auffassung, dass Herr Y nicht zur Be­darfsgemeinschaft gehört und somit Frau X und ihrem Sohn Leistungen nach dem SGB II zustehen. Eine Änderung bei ihrem Alg II-Anspruch tritt erst zum Zeit­punkt des Eintritts in den Mutterschutz ein, denn dann hat Frau X einen nach bür­gerlichem Recht einklagbaren Unterhalts­anspruch gegenüber Herrn Y.

P.S. Im Text genannte Urteile sind zu finden hier.

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