Was ist – genau genommen – eigentlich unter einer eheähnlichen Gemeinschaft zu verstehen? Beim Alg II-Antrag wird jede/r meist ohne weitere Erklärung des Amtes gefragt, ob sie/er Teil einer solchen sei. ute kallenbach erklärt, was Erwerbslose und deren Partner vor Beantragung des Alg II über die juristische Bedeutung der Vokabel „eheähnliche Gemeinschaft” wissen sollten.
Ich habe mich gefragt: Warum heiraten viele Paare eigentlich nicht, wenn sie von mir danach gefragt – sagen, in .eheähnlicher Gemeinschaft zu leben? Bedenken die Menschen zu wenig ihr eigenes Leben – und besonders die rechtlichen Konsequenzen ihrer Entscheidungen für oder gegen eine Beziehung? Eine kleine Umfrage in meinem Bekanntenkreis ergab dazu:
Weil wir uns noch nicht lange genug kennen …
Weil ich mich noch nicht binden will, ich will frei sein!
Ich habe schon ‘mal etwas von Versorgungsausgleich beim Rentensvstem gehört und will meine Rentenansprüche nicht abtreten … Es gibt keine Witwenrente mehr! Ich will nicht per Gesetz zum Unterhalt für jemand verpflichtet werden, der selbst in der Lage ist sich zu unterhalten.
Scheidungen sind teuer …
Ich will nicht abhängig sein …
Ich kann nicht treu sein, das aber wird in
der Ehe von mir verlangt …
Die Befragten waren keine Alg II-Em-pfänger. Für sie bleibt es folgenlos, wenn sie sich trotz des Wunsches nach Eigenständigkeit als ,eheähnlich’ bezeichnen. Aber wer mit Alg II in Kontakt kommt, sollte vor Antragstellung seine Gründe nicht zu heiraten mit der juristischen Definition zur eheähnlichen Gemeinschaft vergleichen und sich gegebenenfalls gegen die Behandlung als Eheähnliche’ durch das Amt wehren.
Was heißt eigentlich „Ehe”?
Einige Betroffene haben inzwischen gegen ein solches Vorgehen der Alg II-Behörden geklagt und Recht bekommen. Die verschiedenen Urteile knüpfen bei der juristischen Definition einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft an den Begriff der Ehe und die damit verbundenen Verpflichtungen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) an.
weinreich und klein definieren im Familienrecht Kompaktkommentar von
2005 die eheähnliche Gemeinschaft wie folgt:
„ … dass es sich um eine heterosexuelle Beziehung handeln muss, die auf unbestimmte Dauer angelegt ist, sich durch innere Bindungen der Partner zueinander auszeichnet und neben sich keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt.”
Außerdem muss die Bindung der Partner so eng sein, dass sie sich gegenseitig in Not- und Wechselfällen des Lebens unterstützen bzw. für einander Einstehen und Verantwortung übernehmen. Dabei bestreiten die Partner zunächst ihren gemeinsamen Lebensunterhalt, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden (in Urteilen von Sozialgerichten ist auch der Begriffe einer „Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft” zu finden).
Der Gesetzestext des BGB über die Ehe legt Wert auf zwei zentrale Elemente. Das personale Element (§ 1353 Abs. l Satz 2 BGB) und das materielle Element (§ 1360 BGB). Demnach sind die Ehegatten zur ehelichen Gemeinschaft und zum gegenseitigen Unterhalt verpflichtet. Sie haben füreinander Verantwortung zu tragen.
Nur wenn beide Elemente bei einer Partnerschaft ohne Trauschein tatsächlich vorhanden sind, kann juristisch von einer Gleichstellung von Partnern einer Gemeinschaft und Ehepartnern ausgegangen werden. Vor allem dem materiellen Element kommt dabei große Bedeutung zu. Die Partner müssen sich gegenseitige quasi-unterhaltsrechtliche Fürsorge- und Lebensunterhaltssicherungsansprüche eingeräumt haben (diese bleiben dabei jedoch nicht verbindlich einklagbar).
Ob diese Elemente in der Gemeinschaft zwischen Mann und Frau vorhanden sind, muss im Zweifelsfall anhand von Indizien festgestellt werden. Zum Beispiel werden die Versorgung gemeinsamer Kinder oder anderer Angehöriger im Haushalt, die Befugnis über das Einkommen oder das Vermögen des Partners zu verfügen (Kontovollmacht) und die Dauer und Intensität der Bekanntschaft
im allgemeinen und vor der Begründung der Wohngemeinschaft als Indizien erfasst. Stichhaltige Hinweise müssen vorliegen, um zu beweisen, das die Partnerschaft so eng ist, dass erwartet werden darf, dass sich die Partner in Notsituationen gegenseitig unterstützen. Wichtig ist dabei das Gesamtbild und nicht einzelne Gesichtspunkte. Von einer eheähnlichen Gemeinschaft kann nur bei Einvernehmen zwischen beiden Partner ausgegangen werden.
Aktuelle Rechtsprechung
Stellt die ARGE eine eheähnliche Gemeinschaft fest, ohne dass das Element der tatsächlichen materiellen Unterstützung vorliegt, werden die vermögens-und einkommenslosen Partner dieser Gemeinschaft völlig rechtlos gestellt. Sie haben keinen Anspruch gegen die Behörde und keinen Anspruch gegen den vermeintlichen Partner (s.a. Sozialgericht Dresden, Beschluss vom 18.05.2005 -Az.: S 23 AS 175/05 ER – mit weiteren Verweisen auf Beschlüsse des SG Düsseldorf vom 18.04.2005, Az: S 35 AS 107/05 ER; vom 22.04.2005, Az: S 35 AS 119/05 ER). Aus diesem Grund wird der Stellungnahme der Partner zur Frage des Bestehens einer „eheähnlichen Lebensgemeinschaft” entscheidende Bedeutung zugesprochen.
„Eine eheähnliche Gemeinschaft kann daher nur angenommen werden, wenn die Partner ausdrücklich bestätigen (finanziell) – auch in Zukunft – für einander einstehen zu wollen, denn nur dann ist das Kriterium der Eheähnlichkeit’, das in Anlehnung an § 1360 BGB ein gegenseitiges , Unterhalten ‘ fordert, erfüllt. ” (SG Dresden, Beschluss vom 14.06.05, Az.: S 23 AS 332/05 ER)
Die Beweise, ob eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegt, hat der Sozialhilfeträger zu erbringen. Eine häufig angewandte Form der Ermittlung ist der Hausbesuch. Dieser wird in der Rechtsprechung jedoch als ungeeignet angesehen, Zitat:
„Es ist im Übrigen Fraglich, ob bei einem Hausbesuch entscheidndserhebliche Tatsachen gefunden werden können, weil die Intimsphäre zur Feststellung einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht ausgeforscht werden darf; insbesondere sind geschlechtliche Beziehungen für die eheähnliche Gemeinschaft nicht maßgeblich und dürfen auch nicht ermittelt werden (BVerfG, Urteil vom 17. November 1992, l BvL 8/87; Beschluss vom 16. Dezember 1958 – l BvL 3/57, 4/57 und 8/58
– SozR Nr. 42 zu Art. 3 GG = BVerfGE 9s. 20 ).”(Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22.04.05)
SG Dresden: Keine Feststellung eheähnlicher Gemeinschaft nach Rosinenpickmethode!
Am 14.06.2005 hat das Sozialgericht Dresden unter dem Aktenzeichen S 23 AS 332/05 ER eine Grundsatzentscheidung zur eheähnlichen Gemeinschaft gefällt. Ein Beschluss im Umfang von 16 eng beschriebenen Seiten im Eilverfahren lässt vermuten, dass der Richter sehr gründlich gearbeitet hat. Der Antragsgegner (die ARGE XY) musste sich seitens des Gerichtes einige Kritik gefallen lassen. Einige Fakten aus diesem Fall möchte ich zur Veranschaulichung der jurischen Definition der eheähnlichen Gemeinschaft darstellen. Ich habe bei der Darstellung der Zeit- und Geldwerte Rundungen vorgenommen, da eine exakte Angabe für das Verstehen des Sachverhalts nicht wichtig ist. Außerdem haben die Beteiligten geänderte Kürzel erhalten.
Frau X ist schwanger (Geburtstermin August 2005) und lebt mit ihrem vierjährigem Sohn seit November 2004 im Einfamilienhaus des Herrn Y. Frau X bezog zuletzt (bis Ende 2004) Arbeitslosenhilfe, erhielt Lohn aus einer geringfügigen Beschäftigung, der sie bis Januar nachging, und Unterhalt sowie Kindergeld für ihren Sohn.
Herr Y ist Justiz Vollzugsbeamter und erzielt ein Einkommen von ca. 1.700 Euro monatlich. Er ist ledig, kinderlos und Vater des Kindes, welches Frau X erwartet.
Eine schriftlich vereinbarte Mietbeteiligung (Höhe 250 Euro monatlich) zwischen Frau X und Herrn Y regelt den finanziellen Rahmen des Zusammenwohnens.
Sie beantragte Alg II und gab an in eheähnlicher Gemeinschaft zu leben.
Der Antrag wurde abgelehnt. Begründung: sie sei nicht hilfebedürftig, da Herr Y über ein Einkommen verfüge, welches den Hilfebedarf mit abdecke.
Dagegen legte Frau X Widerspruch ein. Begründung: Sie werde von Herrn Y nicht unterstützt und habe ihm gegenüber keinen einklagbaren Unterhaltsanspruch. Ohne Einkommen sei ihre Krankenversorgung und die ihres Sohnes nicht mehr gewährleistet.
Der Widerspruch wurde von der Behörde als unbegründet abgelehnt. Begründung: Sie habe im Antrag das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft angegeben und Auskunft über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Herrn Y erteilt.
Daraufhin erhob Frau X Klage beim Sozialgericht Dresden.
Das Fehlen der Bereitschaft den gemeinsamen Lebensunterhalt zu sichern, wertete das Gericht als ein Indiz für das Nichtbestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft. Die Angaben der Antragstellerin, mit Herrn Y liiert zu sein und seine Aussage, sie seien ein Paar, konnten das Gericht nicht bestärken von einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen, da Herr Y sich auf eine relativ kurze Zeit des Kennens bezog und nicht von einer engen Bindung ausging. Somit will er nicht für sie aufkommen und das Thema
Heirat steht nicht zur Diskussion. Auch das Zusammenleben unter einer Meldanschrift ist kein Indiz für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft. Die Nutzung der gesamten Wohnfläche und der Wohnungseinrichtung durch Frau X und Herrn Y wird als typisch auch für Wohngemeinschaften gewertet. Isoliert betrachtet, ist es nicht ausreichend für die Feststellung einer Verantwortungsgemeinschaft. Auch das siebenmonatige Zusammenwohnen ist kein Indiz hierfür, da nach der bisherigen Rechtssprechung von mindestens drei Jahren des Zusammenlebens ausgegangen wird.
Das heißt: Allein, dass Frau X Herrn Y in ihrem Antrag auf Leistungen nach dem SGB II als Partner in eheähnlicher Gemeinschaft bezeichnet, ist kein Grund für das Vorliegen einer solchen, da in Zweifel zu ziehen ist, ob sie sich der juristischen Tragweite dieser Erklärung bewusst war (so das SG Dresden in o.g. Beschluss mit Verweis auf andere Gerichte).
Die folgenden Tatsachen zeigen ein fehlendes personales Element. Weder die Freundschaft/Bekanntschaft noch die Zeit des Zusammenwohnens (7 Monate) sind von hinreichender Dauer, um von einer eheähnlichen Gemeinschaft ausgehen zu können. Außerdem beruht das Zusammenwohnen auf der Grundlage einer schriftlichen Mietbeteiligungserklärung. Dies ist für eine Ehe unüblich. Frau X und Herr Y haben derzeit weder gemeinsame Kinder, noch beteiligt sich Herr Y an der Erziehung, Betreuung und Pflege des Sohnes von Frau X. Die Schwangerschaft kann auf das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft hindeuten. Die Äußerung, dass es sich nicht um ein Wunschkind handelt, sondern eher ein ,Unfall’ war, entkräftet das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft.
Die Antragsgegnerin (das heißt die Alg II-Behörde) behauptet im Gerichtsverfahren auf Grund „des gleichberechtigten Zusammenwohnens, des Zusammenzuges, der gemeinsamen Nutzung der Wohnungseinrichtung und des Erwartens des gemeinsamen Kindes …”, dass ein personales Element vorliege. Das Gericht wirft der Behörde vor „nicht die gebotene, erforderliche und angemessene umfassende Gesamtwürdigung sämtlicher Einzelfallumstände” vorzunehmen, sondern, dass sie sich „analog einer ,Rosinentheorie’ lediglich die Einzelaspekte , her „ rauspickt”, die ihrer Ansicht nach das Ergebnis in einem für sie günstigen Eicht erscheinen lassen.”
(SG DD, o.g. Beschluss)
Bei der gerichtlichen Betrachtung der Frage, ob ein tatsächliches materielles Element vorhanden sei, muss sich die Behörde diese Kritik erneut anhören. Hierzu wurde ermittelt, dass die Antragstellerin und Herr Y ihre jeweils eigenen Wohnungseinrichtungsgegenstände in das Haus des Herrn Y eingebracht haben, dass gemeinsam ein Fernseher angeschafft worden ist und dass seit März 2005 ein gemeinsames Konto besteht. Dies seien eindeutige Kriterien im Sinne einer gegenseitigen Einstehensgemeinschaft in den Not- und Wechselfällen des Lebens, so die Behörde. Doch auch hier fehlte deren Gesamtwürdigung sämtlicher Einzelfallumstände. Zum gemeinsamen Konto kam es nur durch den Einkommensverlust der Antragstellerin. Sie konnte die Kontoführungsgebühren nicht mehr aufbringen und nutzte deshalb das Konto von Herrn Y mit. Dieser räumte ihr keine Verfügungsgewalt über sein Einkommen ein. Es bestanden keine gemeinsame Haushaltskasse, keine gemeinsamen Vermögenswerte und keine gemeinsamen Versicherungen. Jeder zahlte seine eigenen Rechnungen und befriedigte mit seinem eigenen Geld seine Bedürfnisse. Das Gericht sieht kein materielles Element. Frau X sollte auf Unterhaltszahlungen von Herrn Y verwiesen werden, für die es jedoch keine Rechtsgrundlage gibt. Sie kann diese Zahlungen von Herrn Y nicht verlangen und nicht einklagen. Mit Hinweis auf die Duldung der nicht gezahlten vereinbarten Miete begründet der Sozialleistungsträger die Unterstützung der Frau X durch Herrn Y. Das Gericht wertet dies jedoch als Mutmaßung und betont mit Verweis auf das Bundesverfassungsgericht, dass existenzsichernde Leistungen nicht in Folge bloßer Mutmaßungen verweigert werden dürfen (BVerfG, Beschluss vom 15.05.2005, Az: l BvR 569/05).
Abschließend kam das Gericht zu der Auffassung, dass Herr Y nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehört und somit Frau X und ihrem Sohn Leistungen nach dem SGB II zustehen. Eine Änderung bei ihrem Alg II-Anspruch tritt erst zum Zeitpunkt des Eintritts in den Mutterschutz ein, denn dann hat Frau X einen nach bürgerlichem Recht einklagbaren Unterhaltsanspruch gegenüber Herrn Y.
P.S. Im Text genannte Urteile sind zu finden hier.