Millionen in der Schuldenfalle

(FR,15.02.2006)

Immer mehr Haushalte können Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen / Problem in Deutschland besonders stark

Immer mehr Bundesbürgern wachsen die Verbindlichkeiten über den Kopf. Inzwischen sind 3,1 Millionen Haushalte überschuldet. Im europäischen Vergleich schneidet Deutschland damit relativ schlecht ab.

Hamburg · Jeder zwölfte deutsche Haushalt ist überschuldet. Das heißt: Das Einkommen reicht nicht aus, um den finanziellen Verpflichtungen nachzukommen und die aufgelaufenen Verbindlichkeiten abzutragen. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Schuldenreport von Verbraucherzentralen und Wohlfahrtsverbänden. Die Zahl der Haushalte in wirtschaftlicher Not hat sich damit seit 1993 verdoppelt. In ihnen leben etwa zehn Millionen Menschen.
Den Trend führt der Schuldenreport vornehmlich auf die schwierige wirtschaftliche Lage zurück. In den alten Bundesländern wird fast jede vierte Überschuldung durch Arbeitslosigkeit ausgelöst. In 20 Prozent der Fälle ist der Versuch, sich selbstständig zu machen, gescheitert. In den neuen Bundesländern ist Arbeitslosigkeit sogar zu 46 Prozent Ursache der Schulden. Verschärft wird die Lage durch das niedrige Arbeitslosengeld. Es liegt inzwischen durchschnittlich um die Hälfte unterhalb der Armutsgrenze, wie sie die EU definiert.

Schicksalsschläge als Auslöser

Häufig werfen auch Schicksalsschläge wie Scheidung, Krankheit oder Tod eines Angehörigen Menschen aus der Bahn. Jeder dritte Fall sei auf solche Ursachen zurückzuführen, berichten Experten. Zu hohe Konsumausgaben spielten dagegen eine untergeordnete Rolle.
Überschuldung hat gesellschaftliche Nebenwirkungen, “die oft übersehen werden”, kritisiert der Report. So sind Gläubiger häufig kleine und mittelständische Unternehmen, deren Existenz durch Zahlungsausfälle bedroht wird. Schulden erschweren die Arbeitsvermittlung und kosten Kaufkraft, Steuern und Sozialabgaben. “Überschuldung ist damit ein gesamtgesellschaftliches Problem.”
Im europäischen Vergleich schneidet Deutschland besonders schlecht ab: In Frankreich, den Niederlanden und Schweden sind deutlich weniger private Haushalte überschuldet. Selbst in Großbritannien, wo Konsumenten- und Immobilienkredite stark verbreitet sind, ist der Schuldneranteil niedriger als in Deutschland.
Auch Sicht der Fachleute hat die Politik einiges getan: Sie hat etwa das Verbraucherinsolvenzverfahren eingeführt, mit dessen Hilfe sich Menschen aus der Schuldenfalle befreien können. Zudem wurden die Pfändungsgrenzen nach oben verschoben. Auch die Beratung werde professioneller.
Doch all das reiche nicht aus: “Es klafft eine riesige Lücke zwischen der Zahl überschuldeter Haushalte und der Zahl derjenigen, die den Weg aus der Überschuldung finden”, kritisieren Caritasverband, Diakonisches Werk, Deutsches Rotes Kreuz und der Bundesverband der Verbraucherzentralen, die den Report herausgeben. So rettet sich nur jeder zehnte Haushalt durch einen Verbraucherkonkurs aus der wirtschaftlichen Krise. Der Bericht führt die Kluft auf den geringen Bekanntheitsgrad der gerichtlichen Verbraucherinsolvenz und auf das sehr komplizierte Verfahren zurück.
Es bestehe daher dringender Reformbedarf. “Es geht auch anders”, befindet der Report und verweist auf positive Erfahrungen in Großbritannien, wo Arme viel schneller wieder wirtschaftlich fit werden. Hermannus Pfeiffer

Wege aus der Krise

Das Insolvenzverfahren für Ver- braucher ist als Hilfe für überschuldete Menschen gedacht. Wer sich “redlich” verhält, kann nach sechs Jahren von seinen Restschulden befreit werden. Schuldnerberatung: Die Adressen von anerkannten Beratungsstellen erfährt man bei der Stadt- oder Kreisverwaltung oder dem Insolvenzgericht. Im Internet finden sich Infos unter www.forum-schuldnerberatung.de. Das Familienministerium gibt telefonisch Auskunft unter 0180 / 190 70 50. hape

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