Pauschale Probleme (Unterkunftskosten)

“Wir sprechen uns entschieden gegen jede Form von Pauschalierung der Kosten für Unterkunft und Heizung aus und fordern die Übernahme der realen Unterkunftskosten…“ Das Frankfurter Arbeitslosenzentrum (FALZ) hat zur heutigen Sitzung des Landtags-Sozialausschusses schon mal vorweg deutliche Worte nach Wiesbaden abgefeuert und klar gemacht, was es vom Ansinnen der Regierungskoalitionäre CDU und FDP in Sachen Wohngeldpauschale für Hartz-IV-Empfänger hält: Gar nichts.

„Circa 4000 Personen sind in Frankfurt zurzeit wohnungssuchend gemeldet, auf dem freien Markt gibt es so gut wie keinen Wohnraum, der nach dem Frankfurter Mietspiegel angemessen ist. Die Menschen stehen schon jetzt vor unlösbaren Problemen.“ Und dabei, sagt FALZ-Beraterin Anna Veit, handele es sich beileibe nicht um Einzelfälle. Etwa zwei Drittel der Ratsuchenden zwackten notgedrungen von ihrem Regelsatz einen Teil für Miete und Heizung ab, weil die über dem offiziellen Mietspiegel der Stadt liegt und das gewährte Wohngeld dafür nicht reicht. „Die Leute müssen sich das vom Mund absparen, immer mehr leben unter dem Existenzminimum.“

Die Folge auch von fehlenden Sozialwohnungen, die kaum noch gebaut würden, der Bestand sei seit 1987 um die Hälfte gesunken. Gleichzeitig würden kommunale Wohnungen an private Gesellschaften verkauft, um Sanierungskosten zu vermeiden und Haushaltslöcher zu stopfen.

Marktfreiheit ist verheerend

Viele Kommunen seien zwar an den Wohnpauschalen interessiert, weil sie mehr als 70 Prozent der Kosten tragen müssen, aber marktferne Pauschalen seien für die Betroffenen verheerend. „Zur Menschenwürde gehört auch eine menschenwürdige Wohnung.“ Wie Anna Veit vom FALZ sieht es auch Claus Triebiger von S.O.S. Alltag. Sein Verein berät im Auftrag der Stadt Offenbach Hartz-IV-Empfänger. Dort gebe es zwar noch mehr preiswerte Wohnungen als in Frankfurt, und gefühlt suchten immer mehr Hartz-IV-Empfänger in den einschlägigen Straßen und Vierteln ihr Glück, „das mit dem Wohnraum ist aber eine prekäre und furchtbare Geschichte“.

In Triebigers Beratungen vergeht keine Woche, ohne dass ihm die Frage als existenzielles Problem entgegen schlägt. „Es gibt Menschen, die leben monatlich von 100 bis 150 Euro, weil der Rest für Miete, Strom und sonstige Kleinrechnungen wie Telefon draufgeht.“ Denn auch der Regelsatz von 20 Euro pro Person für Strom sei schon „lächerlich“, zumal, wenn Geräte und Anlagen in den heruntergekommenen Wohnungen veraltet seien. „Als ich mit der Arbeit angefangen habe, war ich erstaunt, wie viele Menschen hungernd und frierend in ihren Wohnungen sitzen.“

Die Stadt Frankfurt sieht das nicht anders. Bereits im September vorigen Jahres, als erstmals Pläne von Wohngeldpauschalen im Land die Runde machten, sprach sich der Magistrat nach einer Anfrage der Linken dagegen aus. Zum ersten, weil in Frankfurt Wohnungen ohnehin knapp und teuer seien und die Sozialgesetzbücher II und XII Pauschalen nur zulassen, wenn „ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist“. Zum zweiten, weil bei Pauschalen immer die Gefahr bestehe, am Bedarf vorbei zu bemessen. Fallen sie zu knapp aus, seien Gettobildung mit allen sozialen Folgeproblemen zu befürchten, so die Argumentation des Magistrats. Und dagegen dann vorzugehen, käme unterm Strich wohl noch teurer. Zu hohe Pauschalen wiederum seien eine Steilvorlage für Vermieter, höhere Preise zu verlangen.

Keine Angst vor Landflucht

An der Ablehnung hat sich nichts geändert, sagt Manuela Skotnik, Referentin im Sozialdezernat. Immerhin planten CDU und FDP in Wiesbaden die neue Regel als Kann-Bestimmung für Kommunen: „Bei uns würde sich das nicht auswirken, weil wir die Pauschalen nicht einführen“, versichert Skotnik. Grundsätzlich fürchte in Frankfurt auch niemand, dass Hartz-IV-Empfänger scharenweise aus Umlandkommunen mit Pauschalen nach Frankfurt drängten. „Jeder weiß, dass Wohnraum hier knapp und teuer ist.“ Außerdem wechsle niemand den Wohnort leichtfertig wie ein Hemd. Es geht um Heimat, um Verwurzeltsein, um soziale Bezüge, nachbarschaftliche Hilfenetze. „Und es überlegt sich wohl jeder zweimal, ob er einen teuren Umzug auf sich nimmt.“ Vorsichtshalber lässt das Sozialdezernat aber in der Rechtsabteilung prüfen, inwieweit die Gefahr bei niedrig angesetzten Pauschalen doch bestehen könnte. In dem Fall will Frankfurt bei der Landesregierung darauf dringen, dass in die geplante Gesetzesänderung eine Schutzklausel zur Höhe der Pauschale eingebaut wird.

Auf das Laissez-faire nach dem Motto „wir müssen ja nicht“, will sich das FALZ nicht verlassen, sondern lehnt die Gesetzesänderung generell ab. Auch mit Verweis auf Erfahrungen in Kassel mit Wohnpauschalen. Dort seien danach viele Zwangsumzüge angeordnet worden, sagt Anna Veit. „Man zieht den Leuten den Boden unter den Füßen weg.“ (Anita Strecker, FR, 26.05.2011)

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